Aphorismen + Gedichte

Aphorismen und Gedichte zum Jubiläumsfest - Themenbogen: Wesentliche Qualitäten von Kontakt (1. & 2.) – Kontakt zum wahren Selbst (3.) – Stufen der Entwicklung (4.)

1.

Ich denke an eine aufruhende Hand, in der sich ein Berühren versammelt, das unendlich weit von jeglichem Betasten entfernt bleibt, nicht einmal eine Gebärde mehr heißen darf, denn diese Hand ist von einem weit her und noch weiter hin rufenden Anruf durchtragen, wie aus der Stille zugetragen.

Martin Heidegger (1889 - 1976)

2.

Die Zärtlichkeiten

Ich liebe jene ersten bangen Zärtlichkeiten, die halb noch Frage sind und halb schon Anvertraun, weil hinter ihnen schon die andern Stunden schreiten, die sich wie Pfeiler wuchtend in das Leben bauen. Ein Duft sind sie; des Blutes flüchtigste Berührung, ein rascher Blick, ein Lächeln, eine leise Hand - sie knistern schon wie rote Funken der Verführung und stürzen Feuergarben in der Nächte Brand. Und sind doch seltsam süß, weil sie im Spiel gegeben, noch sanft und absichtslos und leise nur verwirrt, wie Bäume, die dem Frühlingswind entgegenbeben, der sie in seiner harten Faust zerbrechen wird.

Stefan Zweig (1881-1942)

3.

Weltgeheimnis

Der tiefe Brunnen weiß es wohl, Einst waren alle tief und stumm Und alle wußten drum.

Wie Zauberworte, nachgelallt Und nicht begriffen in den Grund, So geht es jetzt von Mund zu Mund.

Der tiefe Brunnen weiß es wohl, In den gebückt, begriffs ein Mann, Begriff es und verlor es dann.

Und redet´ irr und sang ein Lied - Auf dessen dunklen Spiegel bückt Sich einst ein Kind und wird entrückt.

Und wächst und weiß nichts von sich selbst Und wird ein Weib, das einer liebt Und - wunderbar wie Liebe gibt !

Wie Liebe tiefe Kunde gibt ! - Der wird an Dinge dumpf geahnt In ihren Küssen tief gemahnt ...

In unsern Worten liegt es drin, So tritt des Bettlers Fuß den Kies, Der eines Edelsteins Verließ.

Der tiefe Brunnen weiß es wohl, Einst aber wußten alle drum, Nun zuckt im Kreis ein Traum herum.

Hugo von Hoffmannsthal (1874 - 1929)

4.

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern. Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe Bereit zum Abschied sein und Neubeginne, Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern In andre, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, Der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, An keinem wie an einer Heimat hängen, Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen. Er will uns Stuf um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen; Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde Uns neuen Räumen jung entgegen senden, Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden ... Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde !

Hermann Hesse (1877-1962)

 

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