Beaumont, Hunter: Väter

Hunter Beaumont: Die Erlösung der Väter. Ein Vortrag

Wer Bert Hellinger kennt, wird merken, dass ich sehr viel von ihm gelernt habe. Gelernt habe ich auch von den Jungianern James Hillman und Nathan Schwarz-Salant, von Mardi Horowitz und der Objektbeziehungstheorie, sowie von den Schülern Milton Ericksons. Und natürlich von Fritz Perls, dem Begründer der Gestalttherapie.

Mein Anliegen heute Abend ist, mit Ihnen über eine Erfahrung zu sprechen, die viele Menschen - Frauen und Männer - in der Therapie erleben. Manche von ihnen sind sehr therapieerfahren, andere sind ganz neu in Therapie, und manche machen diese Erfahrung nicht, auch sie müssen erwähnt werden.

Worüber ich sprechen möchte, ist keine Theorie, sondern vielmehr die Beschreibung erlebter Erfahrungen. Darum geht es mir heute Abend und weniger um die Theorie, die auf diesen Erfahrungen aufbaut.

Ein Mann besucht zusammen mit seiner Frau eine Gruppe für Paare. Im Laufe der Gruppe erzählt er von seiner Beziehung zu seiner Mutter. Die Mutter sei innerlich sehr bedürftig und in der Bedürftigkeit sehr anhänglich. Als junger Mann fühlte er sich für seine Mutter verantwortlich und hatte große Schwierigkeiten, sich von ihr zu trennen. Er ist jetzt etwa Ende Vierzig.

Der Therapeut fragt nach dem Vater, denn wenn ein Sohn die Verantwortung für die Mutter spürt und die Funktion in der Familie übernimmt, sich um die Mutter oder deren innere Zufriedenheit zu kümmern, wird deutlich, dass der Sohn den Platz des Vaters übernommen hat. Der Vater fehlt in so einer Familie. Es ist die Aufgabe des Vaters und nicht des Sohnes, sich um die Mutter zu kümmern. "Ach" sagt der Mann "mein Vater war ein Schwächling, er dachte nur an sich selbst, er war für mich nie da. Meine Mutter hat ihn herumkommandiert und er hat ihr keine Grenze setzen können". Der Therapeut fragt nach, was der Satz "er war für mich nie da" bedeute. "Ach" erzählt der Mann "er war in Kriegsgefangenschaft und dann war er viel krank". Der Therapeut fragt weiter. "Nach dem Krieg war mein Vater sieben Jahre in Russland in Gefangenschaft und hat sich dann freiwillig angeboten, noch sechs Monate länger zu bleiben." Es stellt sich heraus, dass der Vater von Beruf Pfarrer war und nach diesen langen Jahren der Gefangenschaft sogar noch sechs Monate geblieben ist, um die seelische Betreuung der Mitinhaftierten zu Ende zu führen. Der Therapeut fragt nach seiner Krankheit. 15 Jahre lang leidet dieser Mann an Parkinson, bis er qualvoll stirbt. Im Laufe dieses langen Sterbens erlebt der Sohn, wie der Vater immer schwächer wird, immer mehr regrediert und immer kindlicher wird.

Die abwertende Verachtung dem Vater gegenüber lässt im Lauf der Erzählung etwas nach.

Der Therapeut bietet ihm einen Satz als Experiment an, er könne dem Vater sagen. "Ich bin froh, dass ich nicht erleben musste, was du erlebt hast". Als der Mann dies sagt, wird er sichtlich weicher - der Satz stimmt für ihn, es öffnete sich etwas in seiner Brust. Die Arbeit geht weiter und an der Stelle, wo er den todkranken Vater in der Vorstellung nicht anschauen kann, sagt er plötzlich: "Ich will ihm nicht zu ähnlich sein, falls auch ich Parkinson bekomme". Mit Hilfe der Gruppe und des Therapeuten gelingt es ihm, den kranken Vater zum ersten Mal in seinem Leben wirklich anzuschauen, auch wenn es nur in der Vorstellung ist. Dann kann er sagen: "Ich hoffe sehr, dass ich das nicht erleben muss, was du erlebt hast". Es kommen ihm die Tränen, er fühlt seinen Körper weich und offen, und dann sagt er spontan: "Ich habe nie die Stärke meines Vaters gesehen. Ich glaube nicht, dass ich es so gut hätte machen können wie er". An diesem Punkt ist die ganze Gruppe sehr präsent, weich und offen.

Ich erzähle Ihnen diese Geschichte als typisches Beispiel dafür, was passiert, wenn Menschen anfangen, den Vater nicht durch die Augen eines Kindes anzuschauen, sondern durch die Augen eines Erwachsenen. Kinder sind nicht in der Lage die existentielle Situation, das Schicksalhafte an den Eltern zu verstehen. Ihnen fehlt die Lebenserfahrung, um das, was die Eltern tun, einordnen zu können. Aus diesem Grund beurteilen Kinder das, was die Eltern machen, falsch. Und manchmal leben sie ein Leben lang mit dieser falschen Beurteilung, als wäre das, diese Beurteilung, der Vater oder die Mutter.

Ich spreche heute Abend hauptsächlich über die Väter, denn in der psychotherapeutischen Literatur wurde der Mutter viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Ich habe auch, wie Sie sich vielleicht denken können, ein ganz persönliches Interesse an diesem Thema.

Für diejenigen von Ihnen, die selbst Kinder haben, ist es leicht zu erkennen, dass wir sehr oft nicht das tun, was wir tun wollten, sondern wir tun genau das, was wir nicht tun wollten. Dieses Phänomen hat jemand bereits bemerkt - in der Bibel, im Brief von Paulus an die Römer ist davon die Rede. Wir nehmen uns vor, es viel besser zu machen als die eigenen Eltern und dann merken wir, wenn wir mit uns selbst ehrlich sind, dass wir es doch nicht viel besser machen.

Ein Mann erzählt in einer Therapiestunde, wenn sein Sohn schlechte Noten nach Hause bringe, werde er wütend und schimpfe mit seinem Kind. Und während seines Schimpfens sage er genau die Dinge, die sein Vater ihm gesagt hat und die er sich versprochen habe, seinem Sohn nie zu sagen. Er könne sich in diesem Moment nicht bremsen. Er schaue sogar sein Kind manchmal mit Wut oder Hass an.

Wenn wir ehrlich mit uns sind, ist das eine Erfahrung, die wir alle gemacht haben mit unseren Kindern. Ich glaube nicht, dass es Eltern gibt, die ihre Kinder nie mit Hass angeschaut haben.

Meine berufliche Laufbahn begann damit, dass ich in Los Angeles als Sozialarbeiter arbeitete. Unsere Aufgabe war es unter anderem, Fälle zu untersuchen, die Nachbarn als Misshandlung oder Kindesmissbrauch meldeten. Wir hatten mit Kindern zu tun, die beispielsweise bei 50 Grad Wüstentemperatur an Bäumen im Garten angekettet waren. Damals war ich jung und naiv und spürte Hass in mir auf solche Eltern. Ich dachte: "Wie können Eltern so etwas mit einem Kind machen - ich werde das nie tun". Später, als ich selbst Kinder hatte - man wird erschöpft, die langen schlaflosen Nächte häufen sich und man hat Impulse - da merkte ich, der Unterschied zwischen mir und diesen Eltern ist im Grunde nur, dass ich eine viel bessere Impulskontrolle habe.

Wir wissen als Eltern, wie gut es uns tut, wenn unsere Kinder uns anschauen und wir sehen trotz dem, was wir gemacht haben, geht es den Kindern gut. Wir wollen alle, mit vielleicht ein paar Ausnahmen, dass es unseren Kindern gut geht. Es erhebt sich also dann die Frage: Warum tun wir in der Therapie oder im Leben den Eltern so weh? Warum enthalten wir unseren Eltern vor, dass es uns gut geht? Warum tun wir das, anstatt das, was uns und unseren Eltern gut täte? Wir merken alle, wenn wir unsere persönlichen Dinge nicht in Ordnung bringen, geben wir sie an die Kinder weiter. Warum tun wir also auch nicht das, was unseren Kindern hilft, sondern das, was unsere Kinder weiter belastet?

Es kommt oft vor, dass wir, anstatt unser Leben wirklich in Ordnung zu bringen, und es uns und unserern Eltern gut gehen zu lassen, an der Wut auf unsere Eltern festhalten. An dieser Wut: "Meine Eltern haben mir nicht das gegeben, was ich brauche. Mir geht es nicht gut, weil meine Eltern das eine gemacht oder das andere unterlassen haben". Ein Teil des Problems scheint mir zu sein, dass Opfer und Täter einander brauchen. Sie bilden zusammen ein System. Es gibt kein Opfer ohne Täter, es gibt keinen Täter ohne ein Opfer. Opfer und Täter bilden zusammen eine systemische Einheit.

Wenn wir als Kind Schmerz spüren, verursacht durch die Eltern, sehen wir unsere mächtigen Eltern als Täter und legen uns damit selbst in ein Opfer-Täter-System fest. Später, wenn wir merken, dass das Leben aus der Position des Opfers nicht unbedingt optimal ist, stehen wir aber vor dem Problem, dass wir, um unsere Opferschaft aufzugeben, die Anschuldigung an die Eltern auch aufgeben müssen.

Wenn ich die Täterschaft der Eltern aufgeben will, muss ich bereit sein, meine Identifikation mit mir als Opfer und mit meinem Leiden aufzugeben. Diesen Schritt zu tun, die Identifikation mit dem Opfersein aufzugeben, ist ein enorm schwieriger Schritt. Es bedeutet, die alte Identität aufzugeben, um eine neue Identität zu gewinnen. Und wie in einem geschlossenen Kreis: Dieser Schritt ist kaum machbar, bevor man nicht den Vater in seinem Herzen eingeschlossen hat.

Ein Mensch kann diesen Schritt - ich sage es in einer Metapher - nicht tun ohne seinen Vater. Diesen Schritt zu gehen, die eigene Identität aufzugeben und sich in das dadurch entstehende Chaos zu begeben, dieses auszuhalten, bis man eine neue Identität findet, das ist nur möglich, wenn man als innere Präsenz die Liebe und die Kraft des Vaters spürt.

In der Therapie kommt häufig: "Aber mein Vater war nicht da", "ich hatte keinen Vater" oder "mein Vater war geistig krank" oder "mein Vater war Alkoholiker" oder ähnliches. "Was kann ich dann machen? Er war für mich nicht da, ich spüre sein für mich Dasein nicht." Manchmal sagen erwachsene Menschen: "Ich habe keinen Vater gehabt". Meines Wissens gibt es höchstens ein oder zwei Menschen in der Geschichte der Welt, die ohne Väter geboren wurden.

In einer Gruppe erzählt eine Frau Anfang 60, ihre Mutter sei während des Krieges von einem fremden Soldaten vergewaltigt worden und sie selbst sei aus dieser Vergewaltigung entstanden. Der Mutter ging es das ganze Leben lang sehr schlecht, der Frau ebenfalls. Sie hat viel Therapie gemacht. Der Therapeut sagt zu ihr: "Wenn man dich anschaut, sieht man, dass mindestens ein Mal etwas Gutes aus der Triebhaftigkeit deines Vaters entstanden ist". Die Frau hat dies angenommen, und später in der Woche sich in einer Arbeit erneut ihrer Mutter zugewendet. Die Mutter, längst verstorben, sagte in einem imaginären Gestaltdialog zu ihr: "Wenn es das bewirkt hat, dass es dich gibt, wenn's nötig ist, mache ich's doch wieder".

Das ist ein Satz für eine Mutter, und ich denke, die meisten Mütter würden gerne so einen Satz sagen. Genauso wie die meisten Väter bereit sind, wenn sie aus ihrem Herzen sprechen, für ihre Kinder zu sterben.

Ich erinnere mich an eine meiner ersten bewussten Erfahrungen als Junge. Ich spielte mit meiner Schwester im Wald und wir gerieten an ein Wespennest. Ich konnte im Gegensatz zu meiner Schwester noch wegrennen, war aber zu klein, um sie tragen zu können. Ich glaube, um ehrlich zu sein, ich habe auch nicht daran gedacht - ich bin einfach abgehauen, so schnell wie ich konnte. Und mein Vater lief in den Wald hinein, holte meine Schwester und wurde dabei etwa 20 Mal gestochen. Ich fragte ihn, warum er das getan habe, ob es ihm nichts ausmache, von den Wespen gestochen zu werden. Er hat geantwortet: "Das mache ich gerne für meine Kinder - natürlich, selbstverständlich". Als junges Kind konnte ich das nicht verstehen. Ich konnte die Wespenstiche verstehen, die spürte ich. Aber ich merkte: "Der macht das für uns". Ich denke, die meisten Väter machen so etwas für ihre Kinder.

Wir haben das Problem, dass Väter - auch Mütter, aber wir sprechen heute Abend von den Vätern - nicht das vollbringen, was sie als Väter vollbringen wollen, sondern sie tun genau das, was sie nicht tun wollen.

Jeder Vater, wenn er aus der Liebe seines väterlichen Herzens handelt, will, dass es seinen Kindern gut geht, und er tut alles dafür, was er nur tun kann. Wir wissen alle, dass sich Väter nicht immer dem gemäß verhalten. Warum? Weil sie die Verstrickung von ihren Vätern und ihren Müttern und die schicksalhaften einschneidenden Erfahrungen übernehmen müssen. Väter und Mütter sind belastet, genau wie wir. Und sie vollbringen deswegen nicht das, was sie im Herzen wollen, sondern das, was sie sich oft versprochen haben, nie zu tun.

Das Ausmaß "des Schlimmen", was die Eltern machen oder die Väter, bestimmen die Kinder. Die Schuld, die Verantwortung dafür, bleibt bei den Eltern. Wenn es zu einer liebevollen Beziehung zwischen Eltern und Kindern kommen soll, können die Eltern keine Entlastung von den Kindern verlangen - die Schuld bleibt bei den Eltern. Nur sind es die Kinder, die die Auswirkung dessen, was die Eltern getan haben, bestimmen. Und dadurch haben sie eine enorme Macht über die Eltern.

Ich erzähle eine hypothetische Geschichte: Zwei Menschen haben Väter, die depressive Alkoholiker waren, Kartenspieler, unverantwortlich im Leben, die ungut mit den Kindern umgegangen sind. Dem einen Kind gelingt es, sein Schicksal zu wenden und etwas aus seinem Leben zu machen. Es geht ihm gut, später heiratet es, hat eine relativ gute Beziehung, hat selbst Kinder, auch wenn es manchmal vielleicht in seinem Leben etwas problematisch ist. Dem anderen Kind gelingt es nicht, es bringt nichts fertig, es findet keinen Sinn im Leben. Der Vater des ersten Kindes hat sein Kind belastet, aber nicht beschädigt. Und wenn er sozusagen als Geist auf einer Wolke vom Himmel oder vom Jenseits auf sein Kind herunterschaut, geht es ihm gut da oben. Der andere Vater auf seiner Wolke, schaut nach unten und es geht ihm schlecht, denn er hat sein Kind nicht nur belastet, sondern auch beschädigt. Aber das bestimmt nicht der Vater, sondern das Kind.

Das bedeutet, Kinder haben eine gewisse Freiheit, die Väter aus deren Verstrickung zu erlösen. Die Wirkung dessen, was die Väter von ihren Vätern und Großvätern übernommen und an die Kinder weitergegeben haben, zu mildern. Wenn es uns gelingt, das Negative, das zu unserer Familiensippe gehört, auf uns zu nehmen, dazu zu stehen und es vielleicht zehn Prozent zum Guten zu wenden, dann geht es uns besser, geht es unseren Kindern besser und geht es unseren Eltern besser, selbst wenn sie nicht mehr leben.

Wie macht man das? Eine gute Sache - nicht wahr - aber wie macht man das?

Ich unterscheide zwischen dem Wesen und der Verstrickung. Unser Wesen ist das, was wir eigentlich geworden wären, wenn wir ein optimales Schicksal gehabt hätten, eine optimale Sippe oder eine optimale Belastung. Das ist das, was wir tun wollen. Und die Verstrickung ist das, was wir tatsächlich tun.

Wenn es einem Kind gelingt, das Wesen des Vaters zu sehen, dann schaut es den Vater nicht mehr aus der Verstrickung heraus an, sondern das Kind, das Wesen des Kindes, schaut das Wesen des Vaters an oder das der Mutter. So bringt der Schritt aus der Verstrickung heraus zu meinem Wesen mich in meinem Herzen nach Haus, und gleichzeitig erlöst es meinen Vater und erleichtert meine Kinder.

Aber mit was für einem Blick kann ich das Wesen meines Vaters wahrnehmen? Denn es ist unbestreitbar, dass der Schmerz aus der Vergangenheit auch existent, da ist. Wenn ein Kind, das heißt das Wesen eines Kindes nicht gesehen oder nicht empfangen wird, geht irgend etwas in der Seele zu, schließt sich ab, zieht sich zurück wie eine Schnecke im Schneckenhaus. Diese Bewegung ist oft spürbar.

Ein erfolgreicher Arzt erzählt, dass er sich in einer Gruppe umschaute und merkte, wie sein Herz anfing zu rasen. Er hat das in der Gruppe weiter erforscht - irgend etwas in seiner Brust hat sich zusammengezogen. Und als er gefragt wurde, was er brauche, damit sich das Zusammengezogene ausdehne, sagte er: "Gesehen werden".

Wir kennen das alle, glaube ich, wir haben alle genug therapeutische Erfahrungen und Erfahrungen mit unserem Körper. Wir können dieses Phänomen spüren, wenn etwas innen in der Brust zugeht oder wenn es aufgeht. Ein sich Öffnen oder Schließen wie die Blüte einer Blume. Ist es geschlossen, kann man nicht mehr richtig schauen, der Blick ist begrenzt, negativ. Und manchmal geht es einfach innen auf. Wenn man auf ist, schaut man mit einem anderen Blick als wenn man zu ist. Der Blick ist weiter, offener, positiv. Was können wir tun, so dass wir mit dem Blick schauen, der offen ist und der uns gleichzeitig aufmacht?

Es scheint wirklich der Fall zu sein, dass Kinder das Empfangen werden - die Analytiker nennen es "Gespiegelt werden" - brauchen, um zu lernen, sich in der Welt auszudehnen. Aber egal wie gut das Eltern gelingt, das Kind wird irgendwann erleben, dass es offen auf die Welt zugeht und es wird von irgend jemand nicht empfangen. Wenn das Wesen oder die Präsenz des Herzens - es gibt viele verschiedene Worte dafür, ich nenne das die Präsenz oder das Wesen, das ist spürbar - wenn es nach außen gleichsam die Hände ausstreckt und nicht empfangen wird, tut es weh.

Wir verlieben uns meist in der Hoffnung, dass in der Verliebtheit endlich die Hände oder der Blick da sein werden, der uns empfängt.

Oft in der Psychotherapie lehren wir und wurde uns auch gelehrt, dass das die Mutter sein muss, die das macht. Das stimmt nicht. Auch der Vater kann es machen. Wenn der Vater in diesem Sinn das Kind empfängt, ist es sogar manchmal schöner. Wenn die Vaterliebe auftaucht, ist sie oft extrem mächtig und belebend und erweckt in der Seele des Kindes das Gefühl: "Ich schaffe es, ich habe Kraft, ich kann was".

Viele sagen: "Ich wünschte, ich hätte andere Eltern". Das ist ein Kinderwunsch. Denn aus genetischer Sicht sind die Eltern, die man hat, die ganz genau richtigen - sie sind sogar die einzig möglichen. Wenn wir andere Eltern hätten, gäbe es uns nicht. Die Freiheit, die uns zur Verfügung steht, ist nicht andere Eltern zu haben, sondern die Eltern, die wir haben, zu nehmen wie sie sind.

Das ist möglich, wenn es uns gelingt, das Wesen der Eltern aus unserem Wesen anzuschauen. Dieser Schritt ist erstaunlich leicht zu tun in der Therapie. Ich habe immer gedacht, das sei etwas Schwieriges. Es ist nicht schwierig - es ist sehr, sehr leicht. Aber es setzt die Bereitschaft voraus, die eigene Identität aufzugeben. Das, was ich dachte, dass ich bin, verschwindet schlagartig in dem Moment, in dem ich meinen Vater und auch meine Mutter in meinem Herzen einschließe und wirklich nehme.

Zum Abschluss erzähle ich eine Geschichte aus der Praxis und gebe dann auch ein paar Hinweise, wie das, was ich beschrieben habe am besten zu machen ist, wenn Sie mit sich selbst arbeiten.

Ein Beispiel: Am vierten Tag einer Gruppe fragt eine Frau, ob es normal sei für ein Mädchen, mit dem Vater schlafen zu wollen. Die Frage wurde mit großer Schüchternheit gestellt und es war jedem in der Gruppe klar, wer das Mädchen ist und wer der Vater. Die therapeutische Intervention war zuerst, dem Mädchen klar zu sagen, dass so ein Wunsch nicht ausgelebt werden darf, weil es in der Regel für das Mädchen schädlich sei. Aber der Wunsch, das zu wollen, sei nicht nur normal, sondern oft sogar ganz wichtig. Es ist die Aufgabe des Vaters, die Grenze zu wahren. Die zweite Intervention war, die Frau zu fragen, woran sie merke, dass sie mit dem Vater schlafen wolle. Sie war ein bisschen verwirrt von der Frage, ließ sich aber darauf ein und beschrieb ein Gefühl im Körper, im Unterleib. Der Therapeut bat sie, das Gefühl ganz genau anzuschauen, ohne es zu benennen. Der Satz: "Ich wollte mit ihm schlafen" ist die Deutung des Gefühls und nicht die Beschreibung. Sie merkte, das Gefühl in ihrem Körper war nur eine warme strahlende Aufregung, nur das. Der Therapeut forderte sie auf, mit der Aufmerksamkeit bei dem Gefühl im Bauch zu bleiben: "Schau mal, was das Gefühl mit dir vor hat". Sie war bereit dazu, und das Gefühl wuchs und dehnte sich in ihrem ganzen Körper aus, bis sie wirklich strömte mit einer Lebendigkeit und einer Freude. Dann sagte sie, sie würde gerne tanzen vor dem Vater. "Was für einen Tanz?" "Einen erotischen Tanz, der aber nicht sexuell ist, der hat mit Sexualität nichts zu tun". Mit dem Schutz der Gruppe hat sie diesen Tanz in der Vorstellung bleibend getanzt. Sie wurde aufgefordert, genau darauf zu achten, wie der Vater sie hätte anschauen sollen, so dass es für sie gut ausging. Und sie merkte, der Blick des Vaters war annehmend, stolz, ohne bewundernd zu sein. Absolut ungefährlich. Und als sie mit diesem Tanz fertig war, hat sie ihn geküsst und ist gegangen, um Frau zu sein mit seinem Segen

Dieser Blick und diese Nüchternheit ist das Wesen eines Vaters. Das ist genau das, was jeder Vater, wenn er aus seinem Wesen heraus handelt, seiner Tochter gerne gibt. Es ist nicht zu bestreiten, dass das oft nicht passiert, aber wenn man auf die Wirkung des Blicks schaut, man merkt es: Das ist genau das Richtige. Wir haben Informationen im Körper darüber, was wir brauchen - es ist zugänglich für uns. Die meisten von uns wissen auch, dass der Vater uns lieber das gegeben hätte, als das, was er gegeben hat, wenn er es gekonnt hätte. So stehen wir dann vor der Wahl: Woran sollen wir uns erinnern, an das, was er sozusagen getan hat, oder an das, was er gerne getan hätte? Wenn wir uns an sein Wesen erinnern, geht es uns gut, geht es unseren Kindern gut und es geht dem Vater gut. Nur, wir haben weniger Groll auf ihn.

Für manche ist der Preis zu hoch. Um diese Art Arbeit zu machen, ist die Voraussetzung, dass man bereit dafür ist und auch weiß, wie das geht. Es ist eine Fertigkeit, ein Geschick und nicht nur eine Sache des Wollens, auf die somatische Erfahrung zu achten und nicht auf die Deutung der Erfahrung. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt.

Die Frau in dem Beispiel fragte: "Ist es normal, wenn ein Mädchen mit dem Vater schlafen will?" Kein Mädchen will mit dem Vater schlafen. Ein Mädchen hat keine Ahnung von der erwachsenen Sexualität. Das ist eine Unterstellung, eine Deutung - es ist die Erfahrung des Mädchens aus Erwachsenen Perspektive. Was ein Mädchen will, ist anziehend sein, den Blick des Vaters anziehen. Es will vielleicht merken, dass es Wirkung auf den Vater haben kann. Aber mit dem Vater zu schlafen, ist nicht das, was das Mädchen eigentlich will.

Wenn man diese Deutungen weglassen und bei der reinen Körpererfahrung bleiben kann, dann erreicht man eine Ebene der Erfahrung, die relativ frei ist von der späteren Deutung: Strömungen im Körper, Empfindungen, etwas geht auf oder eine Wärme kommt, oder eine Energie, oder eine Strömung wie in der Bioenergetik. Wenn man, ohne es zu deuten, dabei bleibt und sich nicht ablenken lässt - es ist schwierig zu tun, aber es geht - dann nimmt diese Kraft im Körper zu und es entstehen Zustände, die das Ich oder der Willen nicht erzeugen können, sondern nur das Wesen.

Und daher die Erfahrungen, die man dann macht, nennt man: Wesentliche Erfahrungen. Es geht um etwas Wesentliches. Es kommt Ruhe, es kommt Liebe, es kommt Eingebundensein. Es kommt Hoffnung, es kommt Kraft.

Und jetzt zum Schluss etwas für Männer: Ein Mann kann das Mann-Sein nur bei dem Vater lernen, nicht bei der Mutter.

Man sieht häufig in der Therapie, dass durch Schicksal oder durch andere Probleme, die Beziehung zwischen Mutter und Vater nicht in Ordnung war, die Eltern standen nicht ganz zueinander. Der Sohn füllt diese Lücke und übernimmt die Aufgabe, sich so zu verhalten, dass es der Mutter gut geht. Aber was der Mutter fehlt, ist nicht ein Kind, sondern ein Mann. Das Kind kann ihr nicht geben, was ihr fehlt. Ein typisches Muster: Diese Söhne, das sind die Muttersöhne, halten sich für etwas Besonderes, können aber nichts zustande bringen. Sie sind daran gewöhnt, die Bewunderung von der Mutter zu bekommen, aber mit dem inneren Gefühl: "Ich schaffe es nicht, es ist mir zu groß". Wenn Männer an dieser Beziehung zur Mutter arbeiten, gelingt das nur, wenn sie die innere Beziehung zum Vater aufnehmen. Ein Kind, das in dieser Beziehung lebt, kann die Mutter nicht im Stich lassen. Ein Kind, das in dieser Verstrickung lebt, fühlt sich für die Mutter verantwortlich und wenn die Mutter stirbt, stirbt auch das Kind. Es ist ganz fundamental, dass ein Kind sich um das Wohlsein der Mutter kümmert, so gut wie es kann. Die Männer, die an dieser Mutterbeziehung gearbeitet haben, merken, dass es ungeheuer schwierig ist, der Mutter klare Grenzen zu setzen, wenn der Vater nicht geachtet wird. Wenn der Vater verachtet wird, auch von der Mutter, hat der Sohn keine Kraft, zu sich selbst zu stehen.

In der therapeutischen Arbeit mit so einem Mann geht es dann darum, den Vater zu "rehabilitieren", so nenne ich das. Das heißt, man hilft dem Mann, den Vater in dessen Kontext zu sehen. Erinnern wir uns an das erste Beispiel heute Abend: Wenn man als Vordergrund nur die Verhaltensweisen des Vaters hat "er hat der Mutter keine Grenze setzen können" und als Hintergrund nur, dass der Vater nicht da und krank, nicht immer stark in der Beziehung zur Mutter war, entwickelt man eine Gestalt vom Vater, dass der Vater schwach ist und das Kind meint: "Ich kann es besser". Wenn man aber den Vordergrund ungeändert lässt und den Hintergrund ändert, vergrößert, erweitert, dann sehen wir: Sieben Jahre Kriegsgefangenschaft und 15 Jahre Parkinson. Welcher Mann kann so etwas durchstehen? Und es stellt sich heraus, dass er auch so oft wie er konnte, dem Sohn einen Brief geschrieben habe, die Briefe hat die Mutter für den Sohn aufbewahrt. Dann haben wir jetzt eine neue, eine andere Gestalt. Die Fakten bleiben ungeändert, der Hintergrund hat sich geändert. Der Vater ist ein anderer Vater, der Sohn ist ein anderer Sohn. Das ist die Freiheit, die wir haben und das nenne ich:

Die Erlösung der Väter.

Hunter Beaumont, Ph.D. Klinischer Psychologe, erhielt seine Gestalttherapie-Ausbildung am Gestalt Institute of Los Angeles, wo er später auch als Lehrtrainer wirkte, bevor er 1980 nach München zog.

Rege Lehrtätigkeit und zahlreiche Veröffentlichungen zu Theorie und Praxis der Gestalttherapie und tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie.

So gut wie er kann, lässt Hunter Beaumont sich von dem Fluss der Dinge führen.

Er beschäftigt sich intensiv mit der Anwendung von psychologischem und psychotherapeutischem Wissen in der Alltagspraxis des Auf-die-Seele-Schauens.

Zwischenstationen seines Weges: Archetypsche Psychologie, Psychoanalyse (besonders die Objektbeziehungstheorie), Verhaltenstherapie, Ericksonische Hypnotherapie und NLP, Körpertherapie (besonders Feldenkrais und integrierende Bewegungen), verschiedene spirituelle Traditionen (besonders der "Diamond Heart Approach" von Almaas) und die systemisch-phänomenologische Arbeit Bert Hellingers.

Zusammen mit Bert Hellinger hat er bis jetzt drei englische Bücher über diese Arbeit geschrieben u.a. "Love's hidden symmetry. What makes love work in relationships", Carl-Auer-Systeme.

Er lebt mit seiner Frau, die er gerne als einen seiner wichtigsten Lehrer bezeichnet, seit 37 Jahren zusammen.

Dieser Vortrag, den Hunter Beaumont im "ZIST - Zentrum für Individual- und Sozialtherapie e.V." frei gehalten hat, wurde mit Hilfe von Stefan Blankertz, Anke und Erhard Doubrawa und von Ursula Eibl überarbeitet. Sie haben bewusst darauf verzichtet, seine etwas fremd klingende Sprache vollständig einzudeutschen und haben sich darauf beschränkt, seine freie Rede in eine schriftlich verständliche Form zu bringen.

Der Vortrag erscheint hier zum ersten Mal in Schriftform.

 

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