Der Fakir

….. Erst vor ein paar Tagen hatte Baba ausgeführt, wie man Geist und Gedanken unter Kontrolle halten könne. Anfangs hatte Baba klargestellt, daß der Geist an und für sich eine ganz wunderbare Erfindung sei. Gedanken seien eng mit dem Geist verbunden. So wie Pferde mit einer Kutsche. Entweder bist du es, der die Gedanken kontrolliert, oder sie kontrollieren dich. Entweder bist du ihr Guru und Meister oder sie sind deiner. Wie Feuer können sie dein Leben entweder bereichern oder dich lebendigen Leibes verbrennen. Wenn du im gegenwärtigen Augenblick lebst, ist der Geist beschäftigt. Das Aufsagen von Gottes Namen stellt sicher, daß der Geist, auch wenn er nicht im Moment verweilt, sich dennoch „zu Hause“ befindet und dort auch bleibt. Schwimme entweder im Fluß des Hier und Jetzt oder rezitiere den Namen Gottes oder eines Meisters; auf diese Weise hältst du den Geist mit all seinen Pferden sicher am Zügel. Was könnte besser sein, als einfach sein Leben zu leben, ohne ständig von Gedanken, verschiedensten Erinnerungen aus der Vergangenheit oder Angst um die Zukunft abgelenkt und kontrolliert zu werden?

Gedanken sind wie Pferde. Jeder Gedanke kann einem Pferd gleichgesetzt werden. Je mehr Gedanken, desto mehr Pferde sind vor der Kutsche, dem Geist, eingespannt. Was passiert, wenn jedes Pferd in eine andere Richtung davon preschen will? Zehn Pferden ist gerade danach, ein bißchen zu verschnaufen, sie haben die Nase voll vom ewigen Hin- und Hertraben. Zwanzig Pferde wollen nach links galoppieren, wo es einen Stall mit klasse Stuten gibt. Vierzig Pferde wollen geradeaus laufen, wo, gar nicht weit entfernt, ein Fluß mit absolut wunderbarem kühlen Wasser fließt. Siebzehn Pferde scheren sich keinen Deut um Stuten oder Wasser. Sie wollen nach rechts, weil dort die Zivilisation lockt – diese Pferde haben keine allzu hohe Meinung vom Landleben, sie finden Verkehr toll, genau wie Stadtleben und den Glanz von Neonlichtern in der Nacht. Jedes Pferd ist wild darauf, seine Wünsche erfüllt zu bekommen. Was für ein Albtraum für den Kutscher, denn der Kutscher ist ja offenbar nicht Manns oder Frau genug, die Zügel fest anzuziehen, sie zu kontrollieren und insgesamt die Leitung zu übernehmen. Im Leben der meisten Menschen sitzen Kutsche und Kutscher in einer ähnlichen Patsche, dazu kommen viele Pferde mit widersprüchlichen Wünschen, die aus der Reise des Lebens eine mühsame Plackerei machen. Genauso verhält es sich mit dem Geist und all den widersprüchlichen Gedanken und Wünschen, die er beherbergt. Wie schon gesagt, jedes Pferd entspricht einem Gedanken. Unzählige Gedanken schießen jeden Moment kreuz und quer durch den Kopf. Der Geist ist dabei die Kutsche. Der einzelne Mensch ist der Kutscher. Mit so vielen Gedanken, die in verschiedene Richtungen drängen oder ziehen und mit einzelnen stark ausgeprägten Gedanken, die stur darauf bestehen, stocksteif an einem Platz auszuharren und sich nicht weiter zu bewegen, wird die Reise des Lebens zu einem Albtraum. Ganz gleich wie stark die Kutsche oder wie geschickt der Kutscher auch sein mag, so lange nicht alle Pferde an einem Strang ziehen und einen Weg verfolgen, ist der Teufel los. Das reinste Chaos, sonst gar nichts! Im Hier und Jetzt zu leben, den Namen Gottes zu rezitieren und auf dem Pfad des Herrn zu wandeln, läßt nicht nur ein zielgerichtetes Streben, sondern auch einen Einklang entstehen, daß man wahrhaft in Schwung kommt und das Leben zu einer angenehmen und beseligenden Reise wird. Einheit und Harmonie können so stark werden, daß sogar der Fall eintreten kann, daß sich die verschiedenen Pferde zusammenschließen und die Form eines einzigen, unglaublich starken und behenden Hengstes annehmen. Dieser Hengst galoppiert so schnell und sicher, als ob ihm die Straße selbst gehöre. Solch einen Hengst zu dirigieren, ist ein Kinderspiel. Auf diese Weise vermag auch der Kutscher die Reise zu genießen. Die Kutsche ist nicht in Gefahr, durch unachtsamen Gebrauch kaputt zu gehen oder auseinandergerissen zu werden. Die Entfernung kann in der kürzest möglichen Zeitspanne zurückgelegt werden, so daß Kutscher, Kutsche und Hengst mehr Zeit zur Verfügung haben, um sich zu entspannen und das Leben zu genießen – und das wiederum garantiert ein langes Leben.

Jedes Heilige Buch auf Erden hält die Menschen dazu an, zu beten und zu meditieren und das Leben in Zufriedenheit und in Frieden mit dem Plan des Schöpfers zu verbringen. Warum? Wenn du betest, meditierst, in Zufriedenheit und in Frieden mit dem Plan deines Herrn und Gottes lebst, dann erlaubst du dir selbst, zu einem Gefäß, einem Medium oder Instrument zu werden, in das der Heilige Geist Eintritt finden kann …..

Aus dem Buch: Ruzbeh N. Bharucha: Der Fakir – Mein Leben mit einem Meister

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