Oshos Kritik an Rudolf Steiner

 

Kritik an Rudolf Steiner

von Osho

 

 

Frage: Osho, ich bin mit den Lehren Rudolf Steiners aufgewachsen, doch konnte ich meine Vorbehalte ihm gegenüber bis heute nicht ausräumen, überwinden oder durchbrechen. Obwohl ich glaube, daß er damit recht hat, wie er dem Westen die Möglichkeit verständlich machen will, sich von „Maya“ zu befreien, nämlich auf rechte Weise denken zu lernen. Dadurch und durch die Praxis der Meditation, sagt er, würden wir fähig, unser Ego zu verlieren und unser »Ich« zu finden. Christus ist die zentrale Figur für ihn, und er unterscheidet zwischen ihm und Jesus als einem völlig anderen Wesen. Dein Weg scheint mir ein anderer zu sein. Kannst Du mir bitte dazu etwas sagen und mir Rat geben? Ich bin irgendwie hin- und hergerissen zwischen Dir und dem Weg, den Steiner aufzeigt.

Osho: Rudolf STEINER WAR EIN GROßARTIGER GEIST, aber wohlgemerkt, ich sage „ein großartiger Geist“, und Geist als solcher hat nichts mit wahrer Religion zu tun. Er war außergewöhnlich begabt. In der Tat findet man nur sehr selten einen ähnlich begabten Geist, der sich mit Rudolf Steiner vergleichen ließe. Er war in vielerlei Hinsicht und für verschiedene Dimensionen begabt; es erscheint fast übermenschlich: ein großer logischer Denker, ein großer Philosoph, ein großer Architekt, ein großer Pädagoge und so weiter und so fort. Und was immer er auch berührte, stets brachte er ganz neue Ideen zu diesem Thema ein. Wo immer er seinen Blick hinlenkte, schuf er neue Denkmuster. Er war ein großartiger Mensch, ein großartiger Geist, aber Geist als solcher – sei er nun klein oder großartig – hat nichts mit wahrer Religion zu tun.

Wahre Religion entsteht aus Geistesleere. Religion ist keine Begabung, es ist deine Natur. Wolltest du ein großartiger Maler sein, müßtest du dafür begabt sein; auch wenn du ein großartiger Dichter sein wolltest, müßtest du begabt dafür sein; willst du Wissenschaftler werden, mußt du natürlich auch dafür ein Talent haben; aber wenn du wahrhaft religiös sein willst, bedarf es keiner besonderen Begabung. Ob klein oder groß – jeder tritt in die Dimension des Göttlichen ein, sobald er bereit ist, seinen Geist abzulegen. Es ist verständlich, daß es großartig begabten Menschen sehr schwer fällt, ihren Geist abzulegen oder fallen zu lassen; ihre Investition ist größer. Für einen gewöhnlichen Menschen ohne besondere Begabung ist es eigentlich leicht, den Geist abzulegen. Doch selbst dann erscheint es als schwierig. Obschon der Mensch nichts zu verlieren hat, klammert er sich immer noch an seinem Geist fest. Natürlich erhöht sich die Schwierigkeit, wenn man einen großartig begabten Geist hat, geradezu ein Genie ist. Dann gründet sich dein Ego in deinem großartigen Geist. Du glaubst, viel zu verlieren und kannst ihn nicht fallen lassen.

Rudolf Steiner gründete eine neue Bewegung namens Anthroposophie in Abgrenzung zur Theosophie. Anfangs war auch Steiner ein Theosoph, dann begann sein Ego den Kampf gegen andere Egos in der theosophischen Bewegung. Er wollte das höchste Oberhaupt der theosophischen Bewegung in der Welt werden. Da es zu viele andere Egos gab, war das nicht möglich. Das größte Hindernis tauchte jedoch mit J. Krishnamurti auf, der jegliche Ego-Identität hinter sich gelassen hatte. Und natürlich tendierten die Theosophen immer mehr zu Krishnamurti. Nach und nach wurde er für sie zu einer Art Messias. Für Rudolf Steiner war das der Grund, mit der theosophischen Bewegung zu brechen. Und die gesamte deutsche Sektion der Theosophie folgte Rudolf Steiner. Er war ein glänzender und wirklich überzeugender Redner, auch ein solcher Schriftsteller. Er konnte die Menschen überzeugen. Die Theosophie wurde von ihm gespalten und damit zerstört. Sie konnte sich davon nie erholen und wieder allumfassend werden.

Rudolf Steiners Lehren sind für den westlichen Geist faszinierend und anziehend, und gerade darin besteht die Gefahr – denn das Fundament des westlichen Geistes ist seine Ausrichtung auf Logik: Rationale Begründung, Denken, Logos. Steiner spricht darüber und sagt: „Das ist der Weg für den westlichen Geist.“ Nein, egal ob östlich oder westlich, Geist ist Geist; und der Weg ist Geistesleere, die Entleerung des Geistes. Wenn du vom östlichen Geist erfüllt bist, mußt du den östlichen Geist entleeren und aufgeben. Wenn du vom westlichen Geist erfüllt bist, mußt du den westlichen Geist entleeren und aufgeben. Um in Meditation einzugehen, muß der Geist als solcher fallen gelassen werden. Wenn du Christ bist, mußt du deinen christlichen Geist aufgeben. Wenn du Hindu bist, mußt du den Hindu-Geist aufgeben. Meditation dreht sich nicht um Christliches, Hinduistisches, Östliches, Westliches, Indisches oder Deutsches, nein.

Was heißt hier Geist? Der (mentale) Geist enthält im Kern die Konditionierung, die dir von der Gesellschaft vermittelt worden ist. Es handelt sich um eine Überdeckung, eine Überlegung im Wortsinn. Der ursprüngliche Geist, der vollständig leer ist, wird von der Konditionierung überdeckt. Um nicht in die Irre zu gehen, muß der mentale Geist als solcher fallen gelassen werden. Damit das Göttliche in dein Bewußtsein eintreten kann, muß das Tor offen und leer sein. Denken ist nicht Meditation. Selbst richtiges Denken oder Denken auf rechte Weise ist nicht Meditation. Sei es falsch oder richtig, jegliches Denken muß aufgegeben werden. Wenn in dir keine Gedankenwolken mehr sind, kein einziger Gedanke mehr erscheint, verschwindet das Ego. Und erinnere dich daran, wenn das Ego verschwindet, wird nicht das »Ich« gefunden. Der Fragesteller sagt, Rudolf Steiner habe gesagt: „Wenn das Ego verschwindet, wird das »Ich« gefunden.“ Nein, wenn das Ego verschwindet, wird nicht ein »Ich« gefunden. Es wird nichts gefunden. Ja genau; Nichts ... wird gefunden.

Erst neulich erzählte ich abends die Geschichte eines großen Zen-Meisters: To-san. Er war leer geworden und ward erleuchtet, und seine Existenz als ein von anderen getrenntes Wesen war erloschen. Was Buddhisten Anatta nennen, Geistesleere. Das Gerücht, daß wieder ein Mensch die Erleuchtung erlangt habe, machte die Runde bis zu den Göttern. Und wenn ein Mensch erleuchtet ward, wollen die Götter natürlich sein Gesicht sehen – seine Schönheit, die Schönheit des Ursprungs, seine Jungfräulichkeit. Götter kamen also herab in das Kloster, in dem To-san lebte.

Sie betrachteten ihn mit Argusaugen und bemühten sich sehr, von der einen Seite drangen sie in ihn ein und kamen von der anderen Seite wieder heraus, doch niemand wurde in To-san gefunden. Daraufhin waren sie sehr frustriert. Sie wollten das Gesicht sehen, das ursprüngliche Gesicht, doch da war niemand. Viele technische Hilfsmittel probierten sie aus, und dann sagte ein ausgefuchster schlauer Gott: „Tu etwas“: Er rannte in die Küche des Klosters und brachte mit vollen Händen Reis und Weizen und warf es auf den Weg, als To-san gerade von seinem Morgenspaziergang kam.

In einem Zen-Kloster ist es ein Gebot, alles bedingungslos zu respektieren; Sogar Reis und Weizen oder Steine, alles ist zu respektieren. Das erfordert, stets umsichtig und aufmerksam zu sein. Nicht einmal ein Reiskorn kannst du in einem Zen-Kloster finden, das einfach so herumliegt. Du bist gehalten, respektvoll zu sein. Und denk’ daran, daß dieser Respekt nichts mit Gandhis Ökonomie zu tun hat. Es ist keine Frage der Wirtschaftlichkeit, denn die von Gandhi praktizierte Wirtschaftlichkeit ist nichts anderes als rationalisierter Geiz. Mit Geiz hat das aber nichts zu tun. Es ist schlichter bedingungsloser Respekt vor allem, Respekt.

Das war respektlos. Das ist die ursprüngliche Idee in den Upanishaden, wenn die Weisen sagten: „ANAMBRAHMA“ – Nahrung ist Gott – denn Nahrung gibt dir Leben, Nahrung ist deine Energie. Gott kommt durch die Nahrung in deinen Körper, wird zu deinem Blut, deinen Knochen, also sollte Gott auch wie ein Gott behandelt werden. Als jener ausgefuchste Gott Reis und Weizen auf den Weg geworfen hatte, auf dem To-san entlang kam, konnte To-san es nicht glauben: „Wer hat das getan? Wer war so nachlässig?“ In seinem Geist tauchte ein Gedanke auf, und in der Geschichte heißt es, daß die Götter für einen kurzen Moment sein Gesicht sehen konnten, weil für diesen Moment mit dem Gedanken auch das »Ich« auf sehr subtile Weise auftauchte: „Wer hat das getan? Etwas ist schief gelaufen.“

Und wann immer du eine Entscheidung triffst, was falsch und was richtig sei, bist du sofort da, das heißt, das Ego ist da – also die Begrenzung in der Vorstellung. Das Ego existiert inmitten der Dualität von richtig und falsch, inmitten der Kette von Gedanken, die um dieses verrückte Zentrum kreisen. Jeder Gedanke bringt einen eigenen Ego-Anteil mit sich. Für einen Moment tauchte eine Wolke in To-sans Bewußtsein auf: „Wer hat das getan?“ -- eine Anspannung. Jeder Gedanke geht mit einer Anspannung einher. Selbst sehr gewöhnliche, sehr unschuldig erscheinende Gedanken gehen mit Anspannung einher.

Du siehst, wie schön der Garten ist – wunderschön – die Sonne steigt auf, die Vögel singen, und es kommt dir die Idee: „Wie schön!“ Selbst das bedeutet eine Anspannung. Deshalb wirst du, wenn jemand an deiner Seite geht, sofort zu ihm sagen: „Schau, was für ein wunderschöner Morgen!“ Was machst du da? Es ist Spannungsabfuhr, Du führst die Spannung ab, die durch den Gedanken entstanden ist. Schöner Morgen ... ein Gedanke ist gekommen und hat eine Spannung um sich herum erzeugt. Dein Dasein ist nicht mehr spannungsfrei.

Es braucht eine Spannungsabfuhr, also sprichst du mit dem anderen. Es ist überflüssig und bedeutungslos, denn er steht ja auch dort, wo du stehst. Auch er hört den Vögeln zu, auch er sieht den Sonnenaufgang und schaut auf die Blumen. Was bringt es also, so etwas zu sagen wie „Das ist wunderschön“? Ist er blind? Aber das ist nicht der Punkt. Du übermittelst ihm keine Botschaft. Die Botschaft ist für ihn genauso klar wie für dich. Tatsächlich befreist du dich von einer Spannung. Indem du es sagst, wird der Gedanke in der Atmosphäre verteilt und aufgelöst; du bist von der Last befreit.

Anmerkung des Übersetzers: Es ist allerdings nicht nur Spannungsabfuhr, sondern auch ein Ausdruck der transformierenden Kraft der Liebe, die in beiden Beteiligten zumindest vorübergehend eine Verbundenheit im Wir-Gefühl entstehen läßt.

Ein Gedanke stieg in To-sans Geist auf, eine Wolke bildete sich und durch diese Wolke konnten die Götter sein Gesicht sehen, nur einen flüchtigen Augenblick lang. Als die Wolke wieder verschwand, gab es auch To-san nicht mehr.

Erinner’ dich daran, worum es bei der Meditation geht: Das Ego vollständig auszulöschen, so daß nichts zu finden ist, selbst wenn die Götter kämen. Du selbst hast festgestellt, daß in einer solchen Situation nicht einmal die Götter dich finden können. Im Dasein ist nichts als reine Aufmerksamkeit zu finden, reines Gewahrsein. Die Verkörperung als vom Ganzen getrenntes Gebilde, als „Jemand“, bedeutet immer eine Anspannung. Deshalb sind solche Menschen, die glauben, jemand zu sein, angespannter als jene, die glauben, sie seien niemand. Menschen, die sich völlig vergessen haben, sind ohne jede Anspannung. Erinnere dich also daran: Wenn das Ego verloren geht, wird das »Ich« nicht gefunden. Wenn das Ego verloren geht, wird nichts gefunden. Dieses Nichts, diese Reinheit des Nichts ist dein Wesen, dein innerster Kern, deine eigentliche Natur, deine Buddha-Natur, dein Bewußtsein – wie ein unermeßlicher Himmel, in dem sich keine Wolken bilden.

Hört Euch die Frage jetzt noch einmal an. „Ich bin mit den Lehren Rudolf Steiners aufgewachsen.“ Ja, es sind Lehren, und was ich hier mache, ist nicht, Euch etwas zu lehren. Im Gegenteil, ich nehme euch alle Lehren weg. Ich bin kein Lehrer. Ich vermittle Euch kein Wissen. Meine ganzes Bemühen ist darauf gerichtet, alles zu zerstören, was Ihr zu wissen glaubt. Mein ganzes Bemühen ist darauf gerichtet, Euch alles Wissen wegzunehmen. Ich bin hier, um Euch beim Verlernen zu helfen.

Ich bin mit den Lehren Rudolf Steiners aufgewachsen, doch konnte ich meine Vorbehalte ihm gegenüber bis heute nicht ausräumen, überwinden oder durchbrechen.“

Kaum einer ist in der Lage, seine Vorbehalte gegenüber einer Person zu überwinden oder zu durchbrechen, die selbst vom Ego bestimmt ist. Es ist schon schwierig, die Vorbehalte gegenüber einer Person zu überwinden, die nicht mehr existiert. Doch ist es auch deshalb so schwierig, die Vorbehalte zu überwinden, weil dein Ego Widerstand leistet. Wenn man zudem in der Nähe eines Lehrers ist, dessen Ego-Trip immer noch im Gange ist, der immer noch versucht, jemand zu sein, der immer noch angespannt ist, ist es fast ein Ding der Unmöglichkeit, das eigene Ego fallen zu lassen.

Obwohl ich glaube, daß er damit recht hat, wie er dem Westen die Möglichkeit verständlich machen will, sich von „Maya“ zu befreien, nämlich auf rechte Weise denken zu lernen..“

Nein, der Weg für den Osten wie für den Westen besteht darin, das Denken zu verlernen, statt zu denken, einfach nur zu sein. Und es ist für den Westen nötiger als für den Osten, denn im Westen sind die Menschen die ganzen zwei Jahrtausende seit Aristoteles darin geübt, zu denken, zu denken, und nochmals zu denken. Denken war das Ziel. Für den denkenden Geist im Westen war es oberstes Ziel: wie man in seinem Denken immer genauer und wissenschaftlicher wird. Die gesamte wissenschaftliche Welt ist aus dieser Anstrengung entstanden, denn wenn man als Wissenschaftler arbeitet, muß man denken können. Man muß etwas in der Welt der Objekte ausarbeiten und genauere und in noch größerem Ausmaß gültige Denkweisen finden. Und es hat sich ausgezahlt – zu sehr. Die Wissenschaft war ein großer Erfolg, folglich glauben die Leute, daß die gleiche Methodik hilfreich sei, wenn man nach innen geht. Das ist Rudolf Steiners Trugschluß.

Er glaubt, daß die gleiche Methode, die uns ermöglicht hat, in die Welt der Materie einzudringen und sie zu erforschen, auch helfen wird, nach innen zu gehen. Es kann aber nicht helfen, da du dich genau in die entgegengesetzte Richtung bewegen mußt, um nach innen zu kommen. Während das Denken hilft, die materielle Welt zu erkennen, hilft das Nichtdenken dabei, sich selbst zu erkennen. Während die Logik dabei hilft, die materielle Welt zu erkennen, hilft dir dabei – vielleicht etwas wie ein Zen-Koan, etwas Absurdes, Unlogisches: Glaube, Vertrauen, Liebe; aber Logik, niemals. Was auch immer dir geholfen hat, die äußere Welt besser kennenzulernen, wird im Inneren ein Hindernis darstellen.

Anmerkung des Übersetzers: Scharfsinniges Denken ist allerdings eine große Hilfe, um die eigene Konditionierung, die eingeprägten Muster im Denken, Fühlen und Verhalten zu erkennen und zu durchschauen.

Und das Gleiche gilt auch für die Außenwelt: Was auch immer dir hilft, dich selbst zu erkennen, wird dir nicht unbedingt dabei helfen, die materielle Welt zu erkennen. Deshalb konnte sich im Osten die Wissenschaft nicht entwickeln. Die ersten Einblicke in die Wissenschaft hatten den Osten erreicht, aber der Osten konnte sie nicht weiterentwickeln. Der Osten bewegte sich nicht in diese Richtung. Der Ansatz und die Grundkenntnisse wurden im Osten erkannt. Beispielsweise entstanden in Indien die mathematischen Symbole, die Zahlen von eins bis zehn. Das machte Mathematik möglich. Es war eine großartige Entdeckung, aber damit hörte es auf. Der Anfang war geschehen, aber der Osten konnte in dieser Richtung nicht weit gehen. In allen Sprachen der Welt haben die Ziffern – mathematische Ziffern – Sanskrit-Wurzeln. Zum Beispiel: two ist Sanskrit dwa – daraus wurde twa und dann two. Drei ist Sanskrit-Tri – daraus wurde drei. Sechs ist Sanskrit-Sasth – daraus wurde sechs. Sieben ist Sanskrit sapt – daraus wurde sieben. Acht ist Sanskrit ast – daraus wurde acht. Neun ist Sanskrit nawa – daraus wurde neun. Die grundlegende Entdeckung ist indisch, aber damit hörte es auch schon auf.

In China entwickelte man vor fast fünftausend Jahren erstmals Munition, stellte daraus jedoch nie Bomben her. Sie machten nur Feuerwerk. Sie genossen es, sie liebten es, sie spielten damit, aber es war ein Spielzeug. Sie haben dadurch nie jemanden getötet. Damals gingen sie nie zu weit hinein.

Der Osten hat viele grundlegende Dinge entdeckt, ist aber nicht tiefer darauf eingegangen. Alle Bemühung im Osten war darauf gerichtet, nach innen zu gehen. Wissenschaft ist der westliche Ansatz; Religion ist der östliche Ansatz. Im Westen versucht sogar die Religion, wissenschaftlich zu sein. Das war es, was Rudolf Steiner in Angriff nahm: Er versuchte, den religiösen Ansatz wissenschaftlich weiterzuentwickeln und zu gestalten – denn im Westen genießt Wissenschaft höchste Wertschätzung. Wenn man beweisen kann, daß Religion auch wissenschaftlich ist, dann erreicht Religion auf indirekte Weise auch eine gewisse Wertschätzung. Im Westen fährt also jeder religiöse Mensch mit dem Versuch fort, zu beweisen, daß auch die Religion eine Wissenschaft sei. Im Osten haben wir uns nicht darum gekümmert. Hier ist es gerade umgekehrt: Gab es eine wissenschaftliche Entdeckung, mußten die Entdecker nachweisen, daß sie auch von religiöser Bedeutung war. Ansonsten war die Entdeckung bedeutungslos.

Indem wir auf rechte Weise denken lernen und durch die Praxis der Meditation, sagt er, werden wir fähig, unser Ego zu verlieren und unser »Ich« zu finden.“

Rudolf Steiner weiß nicht, was Meditation ist. Was er Meditation nennt, ist Konzentration. Er ist völlig verwirrt: Er nennt es Konzentrationsmeditation. Konzentration ist keine Meditation. Konzentration ist wiederum ein sehr nützliches Mittel für schöpferisches wissenschaftliches Denken. Es bedeutet, die Geisteskräfte um ein gemeinsames Zentrum zu sammeln und auf eine bestimmte Sache zu fokussieren. Aber indem der mentale Geist fokussierter und integrierter wird, bleibt er doch mentaler Geist, ein auf die Objekte ausgerichteter und wie gebannt auf sie schauender Geist.

Meditation bedeutet, sich auf nichts zu konzentrieren. Tatsächlich ist es eine tiefe Entspannung, keinerlei Einengung. Konzentration bezieht sich auf ein Objekt. In Meditation gibt es kein Objekt. Du verschwindest und verlierst dich in einem objektlosen Bewußtsein, einer Ausdehnung, Ausbreitung und Vertiefung des Bewußtseins. Konzentration gilt etwas Bestimmtem und schließt alles andere aus. Stets schließt sie nur eines ein und alles andere aus.

Zum Beispiel: Wenn du mir zuhörst, kannst du auf zwei Arten zuhören: Du kannst im Sinne der Konzentration zuhören; dann bist du angespannt und konzentrierst dich auf das, was ich sage. Wenn dann die Vögel singen, wirst du sie nicht hören. Du wirst denken, das sei eine Ablenkung. Ablenkung ist das Nebenprodukt deiner Bemühung um Konzentration. Du kannst mir aber auch auf meditative Weise zuhören; dann bist du einfach offen, erreichbar – hörst mir zu und hörst auch den Vögeln und dem Rauschen oder Heulen des Windes zu.

Du denkst nicht: „Ich werde auf dieses hören und auf jenes nicht hören.“ Nein, du hörst auf die ganze Existenz. Dann sind ich, die Vögel und der Wind keine drei getrennten Dinge. Einzeln gibt es sie nicht. Alles geschieht gleichzeitig, mit allem anderen zusammen und du hörst dem Ganzen zu. Dein Verständnis wird dadurch ungemein bereichert: stets ist es die gleiche Botschaft, die von den Vögeln durch ihren Gesang, vom Wind durch sein Rauschen oder Pfeifen und von mir durch meine Worte transportiert wird, auf daß du diese Botschaft mehr und mehr verstehen kannst. Die Botschaft ist immer dieselbe, nur die Medien sind unterschiedlich: Gott ist die Botschaft.

Wenn ein Kuckuck verrückt spielt, so ist es Gott, der verrückt spielt. Schließ’ nichts aus, schließ’ Ihn nicht aus; denn wenn du etwas auschließt, wirst du Gott ausschließen. Schließ’ alles mit ein. Konzentration ist eine Einengung des Bewußtseins; Meditation ist seine Erweiterung: Alle Türen und Fenster sind offen und du wählst nicht aus. Wenn du nicht auswählst, kannst du dich natürlich auch nicht ablenken lassen. Das ist das Schöne an der Meditation: Ein Meditierender kann nicht abgelenkt werden. Und laß das dein Kriterium sein: Wenn du abgelenkt bist, sei dir bewußt, daß du dich konzentrierst und eben nicht meditierst. Ein Hund fängt an zu bellen – ein Meditierender läßt sich nicht ablenken. Er nimmt auch das auf und auch das gefällt ihm.

Er sagt sich: „Sieh’ da, Gott bellt in dem Hund, das ist gut so. Danke, daß du bellst, während ich meditiere. Auf so viele verschiedene Weisen kümmerst Du Dich um mich“, und dabei entsteht keine Spannung. Er sagt sich nicht: „Dieser Hund ist ein Feind. Er versucht, meine Konzentration zu stören. Ich bin ein ernsthafter religiöser Mensch – und dieser dumme Hund ... was macht er hier?“ Dann entstehen Ärger und Feindschaft. Und glaubst du, das sei Meditation? – Nein, das hat keinen Sinn, wenn du wütend auf den Hund wirst, der arme Hund, der nur sein eigenes Ding macht. Er stört nicht deine Meditation oder Konzentration oder sonst etwas. Er schert sich überhaupt nicht um dich und um deine Religion. Möglicherweise bemerkt er nicht einmal, welchen Unsinn du denkst und ausstrahlst. Er freut sich einfach seiner Art und seines Lebens. Nein, er ist nicht dein Feind.

Betrachte Folgendes ... wenn in einem Haus ein Mensch scheinbar religiös wird, wird das ganze Haus davon beeinträchtigt, weil dieser Mensch glaubt, sich ständig am Rande der Ablenkung zu befinden. Er betet; niemand sollte einen Ton von sich geben. Er meditiert; die Kinder sollten schweigen, niemand sollte spielen. Du legst der Existenz unnötige Bedingungen auf. Bist du abgelenkt und fühlst dich gestört, bist nur du dafür verantwortlich. Nur du bist zu tadeln, sonst niemand.

Was Rudolf Steiner Meditation nennt, ist nichts anderes als Konzentration. Aufgrund von Konzentration kannst du das Ego verlieren und das »Ich« gewinnen, und das »Ich« wird nichts weiter sein als ein sehr subtiles Ego. Du wirst ein frommer vom Ego bestimmter Mensch sein. Das Ego ist nun lediglich mit religiöser Sprache verkleidet, aber es wird weiterhin da sein.

Die zentrale Figur für ihn ist Christus, den er von Jesus unterscheidet als einem völlig anderen Wesen.“

Für einen Meditierenden kann es keine zentrale Figur geben. Die Notwendigkeit dafür besteht nicht. Aber wer sich konzentriert, braucht etwas, auf das er sich konzentrieren kann. Rudolf Steiner sagt, Christus sei die zentrale Figur. Warum nicht Buddha? Warum nicht Patanjali? Warum nicht Mahavir? Warum Christus? Für Buddhisten ist Buddha die zentrale Figur, nicht Christus. Sie alle brauchen einen Gegenstand, auf den sie sich konzentrieren können, etwas, auf das sie ihre Gedanken konzentrieren können. Für einen wahrhaft religiösen Menschen gibt es keine zentrale Figur. Wenn dein eigenes Ego als das falsche Zentrum verschwunden ist oder dabei ist zu verschwinden, brauchst du außen kein anderes Ego, das du unterstützen müßtest. Hinter diesem »Christus« oder »Buddha« verbirgt sich wiederum irgendwo ein Ego. Du erschaffst damit eine Polarität von Ich und Du. Du sagst dir: „Christus, du bist mein Herr“, aber wer wird das sagen? Zur Umsetzung braucht es ein »Ich«. Schau’ und höre, was die Zen-Buddhisten dazu sagen: „Wenn du Buddha unterwegs triffst, töte ihn sofort.“ Wenn du auf deinem Weg Buddha triffst, töte ihn sofort, sonst wird er dich in seinen Bann ziehen. Gib ihm keine einzige Chance, sonst wird er von dir Besitz ergreifen und zu deiner zentralen Figur werden. Um ihn herum wird der mentale Geist erneut entstehen. Du wirst dann ein buddhistischer Geist oder ein christlicher Geist werden. Für einen besonderen vom Ganzen abgetrennten Geist ist ein besonderes zentrales Objekt erforderlich.

Und folglich ist er mehr für Christus als für Jesus. Auch das muß verstanden werden. Auf diese Weise entsteht das fromme Ego. Jesus ist genau wie wir: ein Mensch mit einem Körper, mit einem gewöhnlichen Leben; sehr menschlich. Für einen Menschen mit großem Ego reicht das nicht aus. Er braucht eine von allen Unzulänglichkeiten gereinigte Figur. Christus ist nichts anderes als der gereinigte Jesus. Es ist so, als machte man aus der Milch zunächst Quark, dann entnähme man daraus Sahne und dann machte man aus der Sahne Ghee. Ghee ist dann der reinste Teil, das Wesentliche, die Essenz. Aus Ghee kann man nun nichts mehr machen. Ghee ist die letzte Veredelung, das weiße Benzin. Weitere Veredelung geht nicht mehr; es ist fertig. Christus ist einfach der gereinigte Jesus. Für Rudolf Steiner ist es schwer, Jesus anzunehmen. Für alle vom Ego bestimmten Menschen ist es schwer. Auf vielerlei Weise versuchen sie, die gegebene Wirklichkeit abzulehnen.

Zum Beispiel: Christen behaupten, daß er von einer Jungfrau geboren sei. Das Grundproblem besteht darin, daß Christen nicht akzeptieren wollen, daß Jesus genauso geboren wurde wie wir alle – als ein gewöhnlicher Mensch. Denn dann wird er auch gewöhnlich aussehen. Er muß etwas Besonderes sein und wir sind Anhänger eines besonderen Meisters. Nicht wie Buddha, geboren als Folge gewöhnlicher menschlicher Liebe, gewöhnlicher sexueller Vereinigung von Mann und Frau, nein – Jesus ist etwas Besonderes. Besondere Menschen brauchen einen besonderen Meister, der von einer Jungfrau geboren ward. Und er ist der eingeborene Sohn Gottes, wohlgemerkt der Einzige. Denn wenn es noch andere Söhne bzw. Töchter Gottes gäbe, dann wäre er nichts Besonderes mehr. Er ist der einzige Christus, der einzige, der von Gott gekrönt wurde. Alle anderen können höchstens Boten sein, aber nicht auf der gleichen Ebene wie Christus. Christen haben es so auf ihre jeweils eigene Weise getan, aber ich möchte, daß ihr Jesus mehr versteht als Christus – denn Jesus wird glückseliger, friedvoller und eine große Hilfe auf dem Weg sein, wenn ihr ihn mehr versteht. Denn ihr seid in der Situation, ein Jesus zu sein; Christus hingegen ist nur eine Wunsch-Vorstellung.

Zuerst mußt du durch die Erfahrung hindurchgehen, ein Jesus zu sein; erst dann wird eines Tages Christus in dir auferstehen. Christus ist ebenso wie Buddha lediglich ein Zustand des Seins, eine Seinsweise: Gautama wurde Buddha, Jesus wurde Christus. Du kannst auch Christus werden, aber im Moment ist der Seinszustand eines Christus noch zu weit entfernt. Du kannst darüber nachdenken und darüber Gedankengebäude in Philosophie und Theologie entwickeln, aber das wird nicht helfen. Im Moment ist es besser, Jesus tiefer zu verstehen, denn das ist momentan deine Seinsweise. Nur dort kann die Reise beginnen. Liebe Jesus, denn die Liebe zu Jesus wird dir ermöglichen, deine eigene Menschlichkeit zu lieben. Versuche, Jesus – und diesen scheinbaren Widerspruch – zu verstehen. Das wird dir ermöglichen, dich weniger schuldig zu fühlen. Wenn du Jesus verstehst, wirst du in der Lage sein, dich selbst mehr zu lieben.

Nun, Christen versuchen weiterhin, den scheinbaren Widerspruch im Leben von Jesus irgendwie zu beseitigen, indem sie das Konzept von Christus einbringen. Zum Beispiel: Es gibt Momente, in denen Jesus zornig ist. Und das ist ein Problem; was also tun? Es ist sehr schwierig, dieser Tatsache aus dem Weg zu gehen, denn oft ist er zornig, und das widerspricht seiner eigentlichen Lehre. Er spricht fortwährend von Liebe und ist ärgerlich oder zornig. Und er spricht davon, seinen Feinden zu vergeben – mehr noch – seine Feinde zu lieben, aber er selbst geht auf jene los, die seinen Zorn geweckt haben. Im Tempel von Jerusalem nahm er eine Peitsche, schlug damit auf die Geldwechsler ein und warf sie im Alleingang aus dem Tempel. Er muß wirklich sehr zornig gewesen sein, rasend, fast durchgedreht.

Nun das ... wie kann man das unter einen Hut bringen? Der Weg, den Christen gefunden haben, um das miteinander zu vereinbaren – und Rudolf Steiner gründet seine eigene Lehre darauf – besteht darin, in der Vorstellung einen Christus zu erschaffen, der mit allem versöhnt ist. Vergiß alles, was du von Jesus weißt; mach dir eine reine Vorstellung von Christus. In diesem Moment kann man sagen: „ Als er zornig war, war er Jesus.“ Und als er am Kreuz die Worte sprach: „Gott, mein Vater, vergib diesen Menschen, weil sie nicht wissen, was sie tun“, war er Christus. Jetzt kann der Widerspruch beseitigt werden. Als er mit Frauen umzog, war er Jesus; als er Magdalena sagte, sie solle ihn nicht berühren, war er Christus. Diese zwei Konzepte helfen, diese Dinge herauszufinden – aber du zerstörst damit die Schönheit Jesu, denn die ganze Schönheit ist in der Widersprüchlichkeit enthalten.

Es besteht keine Notwendigkeit, scheinbare Widersprüche miteinder zu vereinbaren, denn in der Tiefe seines Wesens sind sie versöhnt. In der Tat konnte er so zornig werden, gerade weil er so sehr liebte. Er liebte unermeßlich und allein darin liegt der Grund, warum er so zornig werden konnte. Sein Zorn war kein Ausdruck von Haß, vielmehr war er Ausdruck seiner Liebe. Hast du nicht schon manches Mal Zorn als Ausdruck der Liebe erkannt? Wo liegt dann das Problem? Du liebst dein Kind: Manchmal verprügelst du es, schlägst es, manchmal bist du fast rasend vor Wut, aber es geschieht aus Liebe. Es liegt nicht daran, daß du voller Haß wärest. Er liebte so sehr – das ist mein Verständnis von Jesus – er liebte so sehr, daß er vor lauter Zorn alles vergaß und einfach nur zornig ward. Seine Liebe war so groß. Er war nicht nur ein toter Heiliger, er war eine lebendige menschliche Person; und seine Liebe war nicht nur eine gedankliche Vorstellung, sie war Realität. Wenn Liebe Realität ist, nimmt die Liebe manchmal auch die Gestalt des Zorns oder der Wut an.

Er war so menschlich wie du, wie wir alle. Ja, vollendet war er noch nicht. Doch war er auch mehr als nur Mensch, aber zuerst und grundlegend war er Mensch, ein Mensch plus. Christen haben zu beweisen versucht, daß er übermenschlich war und daß die Menschlichkeit nur eine Beigabe, eine Art Unfall war, ein notwendiges Übel, weil er in einen Körper kommen mußte, um auf Erden wirken zu können. Das sei der Grund, warum er zornig gewesen sei. Ansonsten ward er lediglich Reinheit. Diese Art der Reinheit wird allerdings leblos sein: tot.

Wenn Reinheit real und authentisch ist, gibt es keine Angst vor Unreinheit. Wenn Liebe wahr ist, ist sie frei von jeglicher Angst; Wenn die Liebe wahr ist, ist sie auch frei von Angst vor dem Kampf. Selbst ein Kampf kann sie nicht zerstören; das zeigt sich darin, die Liebe wird überleben. Es gibt Heilige, die davon sprechen, die Menschheit zu lieben, aber keinen einzigen Menschen lieben können. Es ist sehr einfach, die ganze Menschheit zu lieben. Erinnere dich immer daran: Wenn du nicht lieben kannst, liebst du die ganze Menschheit. Es ist einfach, weil du nie auf die ganze Menschheit stoßen kannst, und die ganze Menschheit wird dir auch keine Probleme machen. Ein einzelner Mensch kann dir viele Probleme machen, noch viel viel mehr. Weil du die ganze Menschheit liebst, kannst du dich sehr gut fühlen. Wie kannst du einzelne Menschen lieben? – Du liebst ja die ganze Menschheit. Du bist riesig, deine Liebe ist groß. Aber ich sage dir: Liebe einen einzelnen Menschen; Das ist die grundlegende Vorbereitung für die Liebe zur ganzen Menschheit. Es wird schwierig werden, und es wird eine eine lang anhaltende große Krise und Herausforderung sein. Wenn du die Schwierigkeiten überwinden und über alle Begrenzung hinausgehen kannst und dabei die Liebe nicht zerstörst, sondern stärkst, so daß sie allen Schwierigkeiten – den möglichen und den unmöglichen – standhalten kann, wirst du integer. Christus liebte jeden einzelnen Menschen und seine Liebe war so groß, daß sie über einzelne Menschen weit hinausging und schließlich zur Liebe für die ganze Menschheit wurde. Dann überschritt sie auch diese Begrenzung und ward Liebe zur Existenz, zum Dasein. Und das ist Liebe zu Gott.

Dein Weg scheint mir ein anderer zu sein.“

Nicht nur anders; er ist diametral entgegengesetzt. Erstens ist es überhaupt kein Weg. Es ist kein Weg, oder wenn dir das Wort gefällt, dann nenn’ es einen weglosen Weg, ein torloses Tor. Aber es ist kein Weg, denn ein Pfad oder Weg wird benötigt, wenn du weit von deiner Realität entfernt bist. Dann muß sie durch einen Pfad mit dir verbunden werden. Aber ich beharre darauf, daß deine Realität jetzt erreichbar ist: hier und jetzt. Sie ist in dir – schlicht und einfach. Um dorthin zu gelangen, ist kein Weg erforderlich. Tatsächlich stehst du unverhofft drinnen, wenn du alle Wege fallen läßt. Je mehr du den verschiedenen Pfaden folgst, umso weiter entfernst du dich von dir selbst. Alle Wege führen in die Irre, denn du bist bereits das, was du suchst. Es sind also keine Wege nötig, aber wenn du darin geschult bist, in diesen Begriffen zu denken, dann sage ich, daß mein Weg genau das Gegenteil ist. Steiner sagt: „Rechtes Denken lernen“; und ich sage, richtig oder falsch, jegliches Denken ist falsch. Denken als solches ist falsch; Nicht mehr zu denken bzw. so tief ins Innere einzutauchen, dass kein Gedanke mehr da ist, ist richtig.

Kannst Du mir bitte dazu etwas sagen und mir Rat geben? Ich bin irgendwie hin- und hergerissen zwischen Dir und dem Weg, den Steiner aufzeigt.“

Nein, für einige Tage mußt du in diesem Spannungszustand bleiben. Ich werde keinen Rat geben und nicht helfen. Denn wenn ich dir Rat gäbe und dir hülfe, könntest du zu mir kommen und dich bei mir anlehnen; das ist vielleicht unreif. Du mußt einen guten Kampf mit Steiner ausfechten, bevor du zu mir kommen kannst. Mit Sicherheit wird er dir einen guten Kampf liefern. Gewiß wird er dich nicht so leicht verlassen. Und ich werde dir keine Hilfe geben, auf daß du aus eigener Kraft kommen kannst. Erst dann kommst du, wenn du aus eigenem Entschluß kommst. Ist die Frucht reif, fällt sie von selbst ab. Nein, ich werde nicht einmal einen kleinen Stein darauf werfen, denn die Frucht könnte noch nicht reif sein und der Stein könnte sie vorzeitig zu Fall bringen, und das wäre eine Katastrophe. Du würdest in deinem zerrissenen Geisteszustand verbleiben. Du mußt dich entscheiden, denn niemand kann lange in einem zerrissenen Zustand verharren. Es gibt einen Punkt, an dem sich jeder entscheiden muß. Und das gilt nicht nur im Hinblick auf Rudolf Steiner. Er ist tot; er kann nicht mit mir kämpfen. Dich zu mir zu ziehen, fällt mir leichter als ihm. Um auch ihm gegenüber gerecht zu sein, überlasse ich es besser dir. Du kämpfst einfach weiter. Entweder du läßt mich fallen ... das wird auch ein Gewinn sein, denn dann wirst du Rudolf Steiner auf vollständigere Weise folgen. Aber ich glaube nicht, daß das jetzt noch möglich ist ... das Gift ist schon in dich eingedrungen. Jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit.