Pessoa, Fernando

Eros und Psyche

Verzaubert schlafe hinter Hecken und Mauern – sagt uns die Legende – eine Prinzessin, nur zu wecken, wenn je ein Prinz die Straße fände, Mauern und Hecken überwände.

Ihm ward als Probe aufgetragen: Böses und Gutes niederringen, dann darf er, frei von allen Dingen, endlich dem falschen Weg entsagen, auf rechtem zur Prinzessin dringen.

Und die Prinzessin, traumentrückt, harrt, wenn sie harrt, im Schlaf auf ihn, im Tod ihr Leben sie erblickt, und die vergeß´ne Stirne schmückt die Efenranke, immergrün.

Unkundig seines Ziels, zerbricht der ferne Prinz mit starker Hand des rechten Weges Zauberband. Sie erkennt des Prinzen Namen nicht. Und ihm ist sie ganz unbekannt.

Jeder erfüllt nur sein Geschick: Sie schlafend unter Zauberbann und er sie suchend auf gut Glück und so gedeiht, was Gott ersann: der Weg entsteht, der Prinz langt an.

Ob auch Gefahren ihn umlauern, der ganze Weg in Dunkelheit, er geht ihn doch in Sicherheit, dringt über Weg und über Mauern in ihres Schlafes Einsamkeit.

Und noch im Taumel der Gedanken hebt er, weil ihm die Sinne schwanken, die Hand zur Stirn, spürt Efenranken und sieht: er selbst – wunderbar ! – die schlafende Prinzessin war.

Fernando Pessoa: Esoterische Gedichte, 8.7.1933

 

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