Peter Levine: Der Körper trägt die Last des Traumas

Also, ich habe wirklich ganz viel über dieses Thema nachgedacht und wie ich das präsentiere, aber dann stellt sich die Frage, wie ich das mache. Und wie ich euch eben nicht nur die Werkzeuge, sondern auch das konzeptuelle Verständnis von beidem und wie sie sich aufeinander beziehen, wie sie verbunden sind, mitgeben kann.

Und es ist interessant, daß ich zwei Worte verwandt habe für die Kursbeschreibung, nämlich Schnittstelle und Zwischenspiel, wenn es um das Entwicklungs- und Schocktrauma geht, weil es einfach beides ist. Es ist zum einen eine Schnittstelle und zum anderen spielt es zusammen.

Und ich denke, was wir im Wesentlichen hier machen, ist, daß wir Zugang finden zum lebenden Körper, so wie er sich manifestiert durch unsere biologischen und entwicklungsgeschichtlichen Veränderungen und Gelegenheiten für Wachstum. Und ich denke, entwicklungsgeschichtliche Herausforderungen finden in der gesamten Lebensspanne statt. Und da läßt sich der Bogen ziehen von der Geburt bis zum Tod. Und wir sind immer damit konfrontiert oder haben die Gelegenheiten, mit diesen entwicklungsgeschichtlichen Herausforderungen zu arbeiten. Und eine andere Sache ist, daß ein Schocktrauma doch recht evident ist, es läßt sich sehr klar sehen, aber das Entwicklungstrauma ist viel weniger offensichtlich, viel verborgener für gewöhnlich. Und um das zu bemerken und zu erkennen, muß das der Therapeut irgendwie über die Interaktion mit dem Klienten aufnehmen, aufgreifen. Ich werde das jetzt nicht machen, werde später darauf zurückkommen, wenn wir von Trauma sprechen, und zwar in der Form, wie es in den diagnostischen Handbüchern beschrieben wird, nämlich als post-traumatische Belastungsstörung. Und das umfaßt dann nur einen kleinen Teil dieses gigantischen Eisbergs. Und durch so einen Teil hier, durch den würde die Titanic nicht sinken, aber dieser Teil hier, kann das bewirken. Die Symptome von posttraumatischer Belastungsstörung nennt man auch positive Symptome. Das heißt ganz sichere Symptome, wie sogenannte „Flashbacks“ (Rückblenden im Erleben von Drogenab-hängigen), Panikattacken, Hypervigilanz (übermäßige Wachheit) und alle möglichen Albträume. Also nochmal, da kommt der Mensch in die Therapie mit einer ganz klaren Reihe von Symptomen. Ich kann nicht schlafen, ich bin ständig auf der Hut und es gibt Auslöser, wie zum Beispiel bestimmte Gerüche, bestimmte Geräusche. Aber was da ist, ist vielmehr verborgen.

Man hat versucht, diesen großen Teil des Eisbergs in das diagnostische Handbuch, in das DSM, mit aufzunehmen. Das ist wirklich überhaupt nicht erfolgreich gewesen. Manche Leute nennen das Desnos, das steht für Störungen von extremem Stress, die nicht anders spezifiziert wurden. Ich weiß jetzt nicht, wie hilfreich diese Definition ist.

Andere sprechen auch von Entwicklungsstörungen. Und ich würde auch noch chronischen Schmerz und chronische Scham hinzufügen. Und wenn wir uns das jetzt als Eisberg anschauen, dann ist alles ein Teil desselben Eisbergs. Und wir müssen ja immer Definitionen haben, an die wir uns halten können. Und im Feld gibt es eigentlich eine Menge Verwirrung, was Entwicklungstrauma eigentlich wirklich bedeutet. Das schauen wir uns erst einmal durch die Linse des üblichen Ablaufs der stattfindenden Entwicklungsprozesse an. Da gibt es durchaus Grenzfälle, daß es manchmal mehr das eine, dann eher das andere ist. Ich bezeichne das eher als allesdurchdringende oder weitverbreitete Gegebenheit, die das systematische Verlassen, den Mißbrauch oder die Vernachlässigung in den ersten drei Jahren des Lebens eines Kindes umfaßt.

Es unterbricht die kognitive neurologische und psychologische Entwicklung und die Bindung an die Erwachsenenbezugspersonen und zersetzt daher alle späteren Beziehungen. Und ich denke, das gilt auch für das, was als Borderline-Persönlichkeit betrachtet wird.

In Wirklichkeit kommt es zu einer enormen Überlagerung, einem Überlappen, zwischen Entwicklungstrauma, Schocktraume und Borderline-Persönlichkeit. Es ist zwar nicht genau dasselbe, aber doch ist zum großen Teil ein Überlappen da.

Und vor allem die, die in einer Gemeinschaft mit Menschen mit geistigen bzw. psychischen Schwierigkeiten arbeiten und also in entsprechenden Institutionen tätig sind, sehen mehr von dieser Entwicklungstrauma-Störung als Sie das in der Privat-praxis sehen.

Und noch mal: Es ist so, daß es da wirklich ein Überlappen gibt und eine Schnittstelle gibt. Falls ihr jetzt verwirrt sein solltet, dann werdet ihr es hoffentlich in vier Tagen nicht mehr sein.

Ich glaube, es ist auf alle Fälle wichtig, sich mal anzuschauen, wie das im beruflichen Feld wahrgenommen wird, aus welchen Komponenten das besteht und wie sich das anfühlt und wie man dann auch in der Lage ist, das zu verändern.

Ich werde damit beginnen, daß ich euch regredieren lasse.

Wenn ihr geistig zurückreist zu dem Anfängerkurs 1, als der Lehrer den Lebensstrom präsentiert hat. Und falls ihr es vergessen haben solltet, macht das auch nichts, denn wir gehen da noch mal durch. Aber mit einer klareren Schnittstelle in Bezug auf die entwicklungsgeschichtlichen und die Schocktrauma-Ereignisse im Leben eines Men-schen.

Um ein Konzept wirklich begreifen zu können, hilft mir immer ein Bild dessen. Als ich anfing, das zu unterrichten, ich weiß nicht, so in den 1970er Jahren, da habe ich festgestellt, daß das wirklich ein nützliches Werkzeug war, damit die Leute, also die angehenden Therapeuten, das Schocktrauma besser verstehen konnten, aber eben auch um entwicklungsgeschichtliche Themen besser zu verstehen und daß es wirklich zu einem Zusammenspiel kommt mit dem anderen. Und daß man dann auch zeigen kann, daß auch das Entwicklungstrauma so stark wie ein Schocktrauma werden kann.

Ich habe hier Rot. Also Spielzeit.

Der Fluss hat ja auch einen Flussufer, also der Fluss zwischen den beiden Ufern. Man kann das ja in beinahe jedem Fluss sehen, daß es Steine im Fluss gibt, kleinere und größere. Und die gibt es überall im Fluss. Und wenn wir uns jetzt das Wasser anschauen, das im Fluss fließt, dann geht es vielleicht ein bißchen mehr zum einen Ufer, dann über Hindernisse weg und dann hierher. Wir können wahrnehmen, daß es eine Kontinuität des Flusses gibt, obwohl sich da auch Hindernisse in den Weg stellen. Wenn ihr im Wildwasser im Boot sitzt, und dann zu den verschiedenen Felsen kommt, dann weiß der Leiter, wie er das Kajak um diese Hindernisse herum bringen kann.

Wenn wir die Steine als Entwicklungsherausforderungen verstehen, dann ist es ganz wichtig, wie wir ihnen im Leben begegnen und wie ein Therapeut auch den Klienten dabei helfen kann, ihnen zu begegnen.

Die Hindernisse im Wasser lassen den Kontrast zu etwas ganz anderem deutlich werden, und zwar, wie wir das Schocktrauma repräsentieren. Also noch mal: das ist einfach eine Visualisierung und wir wollen schauen, wie der Klient dadurch ein besseres Verständnis, ein besseres Gefühl, ein besseres Gespür dafür entwickelt. Das Schocktrauma ist wie eine große Kraft, die von außen auf den Fluss zukommt. Und dann kommt es zu einem Bruch, einem Loch, einer Lücke im Behälter, so daß das Wasser, wenn es jetzt hier herein strömt, einen Strudel außerhalb der Hauptströmung bildet. Und ich sage, es ist wie das, denn ganz offensichtlich ist es ja so, daß ein Trauma nicht durch eine Kraft von außen kommt, sondern daß etwas von außen kommt, im Menschen etwas hervorruft, etwas stimuliert, Gefühle, Körperempfindungen, Emotionen, die dieser Mensch nicht halten kann und folglich in den Zustand der Hilflosigkeit gelangt. Und jedesmal, wenn sich jemand dem Trauma, diesem Strudel, nähert, wird er dann wird er da hineingesogen. Und das kennt ihr ja alle, die Leute, die zu euch kommen, weil sich etwas schändlich wiederholt oder eine Emotion immer wieder auftaucht oder ein bestimmter Auslöse-Reiz immer da ist. Und sie reagieren dann eben mit überwältigender Hilflosigkeit. Und das ist die aktive posttraumatische Belastungsstörung. Was die Leute für gewöhnlich machen, auch als Möglichkeit, wie sie das vermeiden können, entwickeln sie dann ein bestimmtes Vermeidungsverhalten und Vermeidungsgefühle.

Und wenn da so ein kleines Bötchen schwimmt, steuern die Leute ihre Boote so, daß sie hier nicht hineingesogen werden.

Also ihr könnt es euch ja vorstellen, schwarz ist im Kommen. Prima. Und jetzt gehen die Leute als Konsequenz dessen – soweit sie können – weg davon, das ist die die Vermeidung der traumatischen Emotionen. Das ist wie eine Art Anpassung, also im Vermeiden, im sich Verschließen. Und das bewirkt dann bei den Leuten, daß sie der Meinung sind, sie könnten nur in zwei Richtungen gehen, entweder dort hin oder eben weg davon.

Aber dadurch verengt sich ihr Leben und auch ihre Lebenskraft. Und ich bin dahin gelangt, weil ich wirklich zu verstehen versucht habe, was bei den Klienten eigentlich los war, mit denen ich gearbeitet habe. Mit dem hier habe ich vielleicht begonnen. Und dann im Verlauf der Arbeit ist was ganz interessantes und auch wichtiges geschehen. Und bei dem ging es darum, daß wir die Menschen zur Lebenskraft, zum Lebensstrom zurückbringen. Und dann ist mir ein weiteres Bild eingefallen, denn wenn es im Fluss einen Strudel gibt, bildet sich immer auch noch ein weiterer Strudel. Und zunächst bewegt sich der andere Strudel in einer Gegenrichtung. Also der, der sich in der Gegenrichtung bewegt, ist zunächst ganz klein, aber mit SE-Werkzeugen könnt ihr den größer machen. Und dann ist mir klar geworden, daß Folgendes geschieht. Wenn der eine Strudel größer wird, gibt es ein Äquivalent, also einen entsprechend großen Gegenstrudel.

Weiterhin konnte ich bei vielen Leuten mit Trauma sehen, daß sie die verschiedensten Erlebnisse mystischer Art hatten. Und das ist ein dritter Aspekt der Nachwirkung von Trauma. Sie hatten Glücksseligkeitsempfindungen und ich habe mit vielen Meditierenden gearbeitet, die vom Trauma abgeschnitten waren und in diese glückseli-gen Bereiche gegangen sind. Das ist etwas Positives in dem Sinne, daß die Leute das Trauma nicht erleben und doch verursacht es sogar noch mehr Probleme.

Es gibt einen kraftvollen Sog, ins Zentrum des Traumas zu gehen. Und wenn sie so etwas spüren, gehen sie immer mehr in diesen glückseligen, aber abgespaltenen Zu-stand des Glücksseligkeitsstrudels.

Der Schocktrauma-Anteil läßt sich leicht erkennen und das habt ihr ja schon jahrelang geübt. Aber wie du eben gesagt hast, diese anderen Trauma-Anteile sind mit Sicherheit nicht so klar.

Das heißt, wir müssen bestimmte Wahrnehmungsfähigkeiten entwickeln und lernen, den Klienten die richtigen Fragen zu stellen, so daß sie ebenso diese Entwicklungs-schwächen erkennen und wahrnehmen können, die uns eben für spätere Traumata empfänglicher machen. Mit anderen Worten: ich bin jemand, bei dem diesen frühen entwicklungsgeschichtlichen Herausforderungen nicht wirklich gut begegnet wurde oder der das zumindest so empfindet.

Auch bei den sogenannten psychischen Krankheiten wie Psychosen oder Schizo-phrenie oder bipolaren Störungen, sieht man das oft, daß jemand immer mehr in den hypermanischen Zustand geht und das führt dann ganz direkt in den Trauma-Strudel und sie brechen zusammen.

Und dann ist mir klar geworden, daß da auch etwas ganz anderes stattfand und das war während eines Traumes, in dem ich sehen konnte, was der Therapeut machen konnte.

Sagen wir mal, dieser Mensch hier geht in eine Expansion und anstatt hier immer weiter zu gehen, zieht es den Menschen wieder zu diesem Strudel hin, dem nicht hinreichend begegnet wurde und das schafft einen Untergrund und eine Empfänglichkeit für spätere Traumata, also Traumata wie zum Beispiel posttraumatische Belastungsstörungen.

Wenn wir beispielsweise mal von Schleudertrauma sprechen, ihr sitzt im Auto und dann haltet ihr an und wartet und auf einmal, während ihr wartet, fährt jemand von hinten auf mit 10 oder 20 Stundenkilometern und dann ist das, wie wenn Stücke auseinander-brechen und zerfallen.

Wenn du über das Maß an Aufprall nachdenkst, das da stattfindet und dann wieder in die Hauptströmung zurückkehrst, ist das auch etwas ganz Wesentliches für die Integration von Trauma: nämlich, daß die Leute in der Lage sind, Elemente dieser beiden polaren Erfahrungen wirklich halten zu können, gemeinsam halten zu können. Nur so kommt es dann zur Integration und die Integration war und ist das ganz Wichtige und Wesentliche.

Es ist auch sehr gut möglich und auch sehr wahrscheinlich, wenn die Leute in die Nähe dessen kommen, daß sie sich zunächst einmal von dem Trauma-Strudel zurückziehen und dann von dem Sog, der stattfindet und ja eigentlich viel weniger ist als beispiels-weise bei jemand, der aus einem Flugzeug springt und dann die Reißleine für den Fallschirm zieht. Ein Unterschied ist, daß du in dem einen Fall das erwartest, im anderen eben nicht. Aber was noch mehr als Faktor mit hineinspielt, ist das, was das frühe entwicklungsgeschichtliche Bild bietet, die Bindungen oder das Verlassen werden und die Leute, die mit Menschen arbeiten, die als Nachwirkung eines Schleudertraumas Merkmale aufweisen wie ganz heftige Symptome und damit gilt es auch sehr, sehr vorsichtig zu sein. Weil es ja auch sein könnte, daß jemand dem gegenüber einfach sehr sensibel ist. Ich bin traumatisiert, weil das mir zugestoßen ist. Und du möchtest ja nicht der Gegner sein. Wenn du dann sagst, also dann erzählen sie doch mal was über ihre Beziehung zu ihrer Mutter. Hoffentlich machen wir nicht so etwas Dummes.

Gleichzeitig müssen wir aber wissen, wo diese Verletzlichkeit denn herrührt. Und dann ganz allmählich zwischen dem Entwicklungs- und dem Schocktrauma arbeiten. Und das ist wirklich eine Kunst.

Es scheint so, daß die Kurse, die ich bisher in Weggis gemacht habe und weiterhin machen werde, wirklich diese Kunst und auch die Wissenschaft, was die Arbeit mit Trauma angeht, fördern. Manche der Sachen, die ich zeigen werde, einfach noch mal zur Erinnerung.

Die Jagd, die ihr sehen werdet, findet statt bei 100, 120 oder 130 Stundenkilometern. Das braucht ja enorm viel Energie und eine Mobilisierung der Überlebenskraft, der Lebenskraft. Vor allem was die Beute angeht, aber auch was das Raubtier angeht, wenn der Gepard nämlich nicht in der Lage ist, bei sechs Versuchen auch einmal Beute zu machen, dann würden seine Jungen sterben. Und sie lernen dann auch nicht, wie sie ein anderes Tier erlegen.

Jetzt wollen wir es uns nochmal anschauen, selbst wenn ihr das schon öfter als einmal gesehen habt. Der Gepard schießt nach vorne mit 130-140 Kilometer pro Stunde. Und jetzt hat er Erfolg. Derweil schauen die gefleckten Hyänen der ganzen Jagd-Szene einfach zu.

Und die Hyäne weiß intuitiv, daß der Gepard beim Erlegen der Beute seine ganze Energie verausgabt hat. Die Hyänen wissen, daß sie den Geparden dazu bringen können, daß er zurückweichen muß und sie dann stattdessen diese Mahlzeit haben.

Also das ist die Immobilitätsreaktion, die Erstarrung und der Kollaps. In der Tierwelt haben wir dann diese Spiralen, wir können uns das vorstellen als eine Feder, eine Spiralfeder, die zeigt die Energie, die verausgabt wurde, sowohl vom Geparden als auch von der Gazelle. Bei der Gazelle ist diese Energie irgendwie im Nervensystem verschlossen. Die Energie wird dann sozusagen verdaut, indem sie für die Flucht-reaktion verwandt wird.

In vielen Fällen, wenn das Beutetier in die Erstarrungsreaktion geht, wird das auch in Verbindung gebracht mit vagaler Überaktivität im Bauch. Oft sehen wir, daß die Beute sich übergeben muß oder eine Ausscheidung stattfindet.

Wenn wir darüber sprechen, dann reagiert selbst die Übersetzerin schon so.

Und auch das hat eine Überlebensfunktion, denn die Wahrscheinlichkeit, daß das Raubtier die Beute frißt, ist nun noch geringer. Und dann sagt das Raubtier vielleicht: „Also bitte bringen Sie das zurück in die Küche, ich hätte gern etwas, was nicht so riecht.“

Wenn die Traumatisierten aus der Erstarrung, aus der Verschlossenheit heraus-kommen, dann macht ihnen Angst, was sich da löst und in Fluss kommt. Und dann wappnen sie sich dagegen. Und indem sie das machen, gehen sie Schritt für Schritt in den Bereich, wo die Lebenskraft doch sehr eingeschränkt und begrenzt ist und wo sie dem Leben gegenüber ein Taubheitsgefühl entwickelt haben.

Und was wir dann machen können, ist, die Leute ein bißchen erleben zu lassen, was entweder mehr in den Trauma-Strudel oder auch in den Gegen-Strudel hineinreicht. Wenn sie Richtung Trauma-Strudel gehen, kommt es zur Kontraktion.

Und wenn sie dann pendeln zwischen den beiden Strudeln oder Wirbeln, dann sagen sie, also das stört mich jetzt gar nicht.

Im anderen Fall, wo wir uns dagegen wappnen und davon wegkommen wollen, ruft es noch mehr Angst hervor. Und die Angst ist genau das, was die Erstarrungsreaktion aufrecht erhält. Und das ist eine durch Angst potenzierte Erstarrung. Das müßt ihr tiefgehend verstehen.

Und natürlich gehen wir damit um, indem wir titrieren (fein dosierte Einflußnahme) und pendeln (zwischen dem Schlimmen und dem, was sich jetzt gut anfühlt). Das sind Fähigkeiten, die ihr ja kennt, wie ihr jemanden da rauskommen lassen könnt und was für Entwicklungsthemen das wohl ansprechen könnte.

Fragen?

Ich habe noch mal eine Frage zu dem Glückseligkeitsempfinden, das du vorhin angesprochen hast. Da hänge ich noch ein bißchen.

Ich fing an, das in den 1960er Jahren in Berkeley, Kalifornien, zu bemerken. Damals wurde viel experimentiert mit Drogen, wie zum Beispiel auch LSD. Oft konnte man Leute sehen, die in glückseligen Zuständen da saßen oder sich sogar als Reinkarnation Christi mit großen spirituellen Kräften sahen. Das war natürlich nicht sehr realistisch. Und dadurch kam ich eben auf die Idee. Ich dachte, das ist ja interessant. Was findet da eigentlich statt, wenn jemand die Augen schließt? Anstatt zu pendeln und anstatt in den Trauma-Strudel zu gehen, spalten sie sich immer mehr davon ab und gehen immer mehr in den Gegen-Strudel.

Sehr oft habe ich beobachtet, daß der Mensch, der in diesem glückseligen Zustand war, psychotisch wurde. Das wurde auch bekannt unter dem Begriff Glücksseligkeits-umleitung. Für gewöhnlich kommen diese Leute gar nicht in Therapie, es sei denn, sie gehen ins Zentrum des Gegen-Strudels, was sie wiederum ins Zentrum des Trauma-Strudels bringt. Und dann werden sie psychotisch.

Gibt es Fragen?

Also das geht jetzt weniger um Baby und Kleinkinder, sondern um Kinder mit ungefähr 7 bis 8 Jahren, wenn die zum Beispiel häusliche Gewalt erleben und wenn sie dann anfangen darüber zu sprechen, dann ist ja dieses Schock erleben da. Und dann frage ich mich, arbeite ich jetzt eher mit dem Schock oder eher mit dem Entwicklungstrauma?

Was ist denn das Grundprinzip, anhand dessen du mit Kindern arbeitest?

Mit dem Pendeln.

Wie denn?

Also sie sprechen über ihre Geschichte … Und was passiert dann als nächstes? Also solche Fragen und dann die Orientierung mit den Augen zum Beispiel, so etwas mache ich dann mit denen.

Das kannst du sicher mit einem Sechsjährigen machen, weniger mit einem Dreijährigen, wo viel mehr im Spiel passiert oder beim Malen, was ja auch eine Art des Spielens ist.

Und natürlich werden wir bei einem Sechsjährigen darüber sprechen, bei vielen ihrer Entwicklungsaufgaben geht es ja um Bindungen innerhalb der Gruppe und um Geschlechtsidentifikation. Und in dem Alter kommt es viele Male zu Doktorspielen oder so etwas. In diesem Alter werden sie auch recht sinnlich.

Und das ist oft bei einem Mißbraucher, bei jemandem, der Übergriffe macht, so interpretiert worden, daß das Kind Sex haben möchte. Die verstehen einfach nicht, daß das ja etwas ganz anderes ist.

Hier wird wiederum deutlich, daß das, was mit der Entwicklung zu tun hat, doch sehr stark auch mit dem Schocktrauma verbunden ist. Das heißt, es gilt, deinem Klienten dabei zu helfen, daß er oder sie wieder diese spielerische Freiheit fühlen kann, die ja genau einen großen Teil der Entwicklung eines Sechsjährigen ausmacht.

„Ach, wie super bin ich doch.“ Aber das ist jetzt kein aufgeblähtes Ego, sondern es geht eher darum, wie erlebe ich mich jetzt in der Welt?

Und bei einem Sechsjährigen – das setzt ja voraus, daß das Nervensystem zu einem beträchtlichen Maß gereift ist. Also hoffst du, daß der Klient schon früher seinen Entwicklungsherausforderungen auf gute Weise hat begegnen können.

Denn in dem Fall, wo da der Fluss sehr schmal ist, heißt das eben auch, daß noch mehr Halt nötig ist.

Und ich meine, ihr wißt ja alle, daß die Grundbindung wirklich von den allerersten Momenten des Menschen herrührt – als Fötus, als Säugling, als Baby. Und das ist eine Hauptkomponente für Resilienz.

Und wenn dem nicht begegnet wurde, müßt ihr noch viel, viel zarter ans Werk gehen, weil ja die ganze Struktur viel fragiler, viel zerbrechlicher ist.

Und ich meine, das Spiel – auch das Malen, das Zeichnen – ist wirklich eine gute Möglichkeit, wie wir dem Klienten dabei helfen können, sich mit diesen Teilen zu verbinden. Und dann können wir auch schauen, wie es um die Resilienz bestellt ist.

Auf die eine oder andere Art achtet ihr eigentlich immer auf das Fragilitätsniveau dieses Menschen. Und es kann sein, daß ihr lange Zeit arbeiten müßt, bis der Fluss weiter werden kann und folglich die Ufer weiter auseinander liegen.

Das ist eine der ganz einfachen Übungen, die wir machen können, und die dem Klienten dabei helfen, seinen Container, seinen Behälter zu vergrößern. Denn allein können sie es nicht machen. Andererseits kann auch niemand es für sie machen.

Wir werden uns einige dieser ganz einfachen Techniken anschauen, die wir verwenden können, um die Ausweitung der Grenzen dieses Containers, dieses Behälters zu fördern und zu unterstützen. Und denkt daran, wenn jemand überwältigt ist von bestimmten Emotionen, dann ist ja nicht die Emotion an sich das Problem, sondern die Tatsache, daß der Behälter dafür nicht groß genug ist.

Wenn der Behälter größer ist, dann kannst du mit diesen schwierigen Empfindungen und Emotionen viel leichter erarbeiten, beispielsweise mit Malen.

Und dann sind vielleicht fürchterliche Teile mit dabei, wenn ein Kind zum Beispiel gefesselt wurde oder vielleicht auch schlimme Erfahrung mit Pistolen oder Gewehren u.ä..

Also finde irgendetwas darin, was Stärke beinhaltet, etwas Positives. Vielleicht malen sie irgendwie die Sonne und den Himmel. Dann kannst du sagen, also das ist ja wirklich ein schönes Bild. Und wie hell da die Sonne ist, ganz wunderbar.

Und dann kannst du auch schauen, ob das etwas ist, was dieser Sechsjährige von dir auf-nehmen kann. Vielleicht sagt er oder sie, im Sommer bin ich immer ganz froh, weil ich dann aus dem Haus kann. Im Haus gibt es vielleicht Alkoholismus und Kampf, Streit, Geschrei. Und von daher ist es eine sehr wichtige Ressource, wenn man draußen sein kann. Und dann kann man auch sehen, da draußen, außerhalb, da ist noch etwas Schönes, wie zum Beispiel andere Kinder oder Haustiere oder gesunde Nachbarn.

Nicht immer, aber für gewöhnlich ist es besser, wenn man mit irgendwelchen positiven Aspekten beginnt. Und dann – das kann ich garantieren – bewegt sich das dann langsam auf’s Trauma zu. Und dann haben sie aber schon wahrgenommen, wie es sich in ihrem Bauch anfühlt, wenn sie die Sonne sehen.

Und ganz oft, wenn du ein Kind bzw. auch einen Erwachsenen fragst: „wenn du die Sonne siehst, gibt es auch eine Stelle in deinem Körper, wo du die Sonne fühlen kannst?“ Und dann können sie diese Fähigkeit mehr entwickeln, so daß sie ganz leicht dahin gelangen.

Nehmen wir mal an, es sei der Fall, dass sie die Sonne dann im Solar Plexus erfahren. Dann kannst du sagen, ja, das ist ja wunderbar. Und nimmst du wahr, wie diese Sonne sich zu verschiedenen Körperteilen hinbewegt?

Und wenn dann der Trauma-Strudel genügend angesprochen worden ist, kann man die Entwicklungsthemen ansprechen, die wahrscheinlich in der Welt eines Sechsjährigen ein Thema sein können:

„Wer sind deine Freunde? Und was machst du gerne mit deinen Freunden? Und gibt es bei den Freunden Jungs und Mädchen?“

Und vielleicht führt das dann zu einer Situation, wo das Kind Doktorspiele gemacht hat und die Eltern das gesehen haben und die Eltern Angst gekriegt haben. Oder sie haben das Kind einfach angeschrien: „Wie kannst du es wagen, so etwas zu machen?“ Vielleicht haben sie sogar Angst, das Kind könnte pädophil werden. Doch das ist einfach die Angst des Elternteils.

Wenn Vater oder Mutter besser darauf vorbereitet sind und in sich integrierter sind, sind sie eher in der Lage, etwas zu sagen wie z.B.: „Das ist okay, daß du spielst, aber dann mach’ das doch nicht in der Öffentlichkeit!“

Wenn du das Spiel des Kindes unterbrichst, dann wird dadurch ja auch dieser Entwicklungsprozess unterbrochen. Und in Wirklichkeit geht es nicht um Sex und das Geschlechtliche, sondern es geht um die Geschlechtsidentifikation.

Und da habe ich so ein bißchen geforscht.

In Europa ist es häufiger so, daß die Eltern bzw. die Lehrer nicht in Panik geraten, sondern mit den Kindern sprechen. Über den Körper, über die Genitalien, über die Unterschiede, über Respekt. Und das ist ganz angemessen, was die Entwicklung angeht.

In den Vereinigten Staaten ist das derzeit beinahe völlig verboten. Und das ist schon interes-sant, wo das am extremsten ausgeprägt ist oft mit Leuten, die ganz rigide reli-giöse Glaubensvorstellungen haben und all das dann verboten ist. Und es hat sich herausgestellt, daß das Ausmaß an Teenagerschwangerschaften in den Gegenden am höchsten ausgeprägt ist im Vergleich zu allen anderen Landesteilen.

Also ganz offensichtlich funktioniert das so nicht. Einfach „Nein sagen“, funktioniert so nicht.

Und das ist eigentlich unglücklich. Aber ich denke, daß ihr vielleicht ein paar bessere Ideen habt.

Tagung in Weggis am Vierwaldstättersee
vom 19.-28.06.2023
Audiodatei der Konsekutiv-Übersetzung erstellt, transkribiert und redaktionell überarbeitet
von Ekkehard Ortmann im Februar 2024 –
in einer Gemeinschaftsleistung von Hund und Eule,
von treuem Durchhaltevermögen und scharfsichtiger Weisheit.